Mann ohne Eigenschaften

■ Michael Schumacher ist Formel-I-Weltmeister

Michael Schumacher ist zum zweiten Mal Weltmeister. Keiner fährt schneller im Kreis herum. Seit gestern gehört der Kerpener endgültig zu den Ikonen im Sport. Jetzt hat er nur noch einen wirklichen Konkurrenten: den toten Überflieger der Boliden-Zunft, Ayrton Senna, den Fachleute für den schnellsten Piloten aller Zeiten halten. Geschlagen hat er den Brasilianer nur im Dollar-Poker. Nächstes Jahr kassiert er bei Ferrari zehn Millionen mehr, als Senna zuletzt bei Williams verdiente.

Schumacher ist beängstigend. Er ist mit dem gemeinen Spitzensportler nicht vergleichbar. Er ist der Mann ohne Eigenschaften, das perfekte Abziehbild der Medienmaschine. Während hinter der Fassade von Steffi, Boris, Beckenbauer oder Maske trotz der Lawine gestanzter Nullsätze immer wieder ein Stück Mensch hervorbricht, bleibt Schumacher jederzeit die synthetische Figur. Das kantig hervorgereckte Kinn aus 100 Prozent Polyacryl.

In den Rhetorik-Kursen bei Daimler-Benz frühzeitig für die Medien-Vermarktung geschult, mimt Schumacher perfekt wie kein anderer den Superstar Schumacher. Immer cool, zurückgenommen, unangreifbar. Er wohnt in Monaco, er reckt die Faust nach dem Sieg, er spritzt mit Champagner um sich, er mag Kinder, er liebt das Abendrot, er hört gern Whitney Houston, und es war ein schweres Rennen. Gibt es irgendeinen Satz, eine Geste, einen winzigen Rest von Authentizität? Andere Sportler vermenscheln zumindest während der Ausübung ihrer Disziplin. Von Schumacher bleibt nur der Augenschlitz. Der Helm macht den Menschen unsichtbar.

Je weniger man von ihm sieht und weiß, umso größer wird die Projektionsfläche für die Sehnsüchte und Phantasien der Zuschauer: 250 Millionen weltweit. Erst vor einer Woche wurde der Eisklotz zum „erotischsten Fahrer der Formel I“ gekürt.

Als Schumacher vor Monaten ein blondes Püppchen zum Standesamt führte, wurde selbst dieses Ereignis, das zu den intimsten und emotionalsten menschlicher Existenz zählt, bis ins Detail medial inszeniert. Sein „weltexklusives“ Hochzeitsinterview gehört zu den deprimierendsten Dingen, die Zeitungspapier in diesem Jahr erlitten hat. Gesülze pur, die künstlich-verlogene Märchenwelt des Weltmeisters.

Wegen Manipulationen an seinem Auto wurde „Schumi“ letzte Saison zum Schummel-Schumi. Die Vokabel könnte treffender nicht sein. Schumacher betrügt die Welt um ein Stückchen Mensch. Vermutlich auch sich selbst. Manfred Kriener