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„Subtiler Druck genügt“

Dem einen ist sie das Herz der organisierten Kriminalität, dem anderen Einfallstor, um Bürgerrechte abzubauen: Schutzgelderpressung, ein Delikt mit hoher Dunkelziffer  ■ Von Christian Rath

Zwei Männer betraten ein Blumengeschäft in Wiesbaden und forderten vom Inhaber des Ladens 5.000 Mark. Als dieser die Summe verweigerte, raubten sie die Kasse aus, übergossen den Mann mit Dieselöl und zündeten ihn an, so berichteten Presseagenturen und Boulevardzeitungen Ende Juli. Sofort vermuteten sie: Hier waren Schutzgelderpresser am Werk. Da schon die klassische Mafia in diesem Metier ihr Unwesen getrieben hat, gilt Schutzgelderpressung als „Herz und Motor“ der „organisierten Kriminalität“, so Dagobert Lindlau („Der Mob“). Entsprechend lebhaft erregen einschlägige Fälle die Phantasie von Boulevardmedien.

Doch die Wiesbadener Polizei blieb cool, denn zwei Dinge passten nicht in das übliche Muster des „Racketeering“, wie die Schutzgelderpressung international genannt wird. Zum einen sind sowohl Täter als auch Opfer Deutsche. In der Regel sind bei Schutzgelderpressungen aber alle Beteiligten AusländerInnen, meist derselben Nationalität. Untypisch war auch die Höhe der geforderten Summe. Meist erkunden SchutzgelderpresserInnen die Leistungsfähigkeit ihrer Opfer sehr genau. Dabei kann es, wie eine im Mai veröffentlichte gemeinsame Untersuchung der Kriminalämter von Bund und Ländern ergab, durchaus zu monatlichen Forderungen in Höhe von 3.000 bis 4.000 Mark kommen. Berücksichtigt werde dabei aber immer die wirtschaftlichen Verhältnisse des Opfers. „Wenn von einem schlecht frequentierten Blumenladen plötzlich 5.000 Mark verlangt werden, dann fällt dies eindeutig aus dem Rahmen“, meint der Wiesbadener Polizeisprecher Phillip Gerster. Inzwischen ermittelt die Polizei gegen den stark verschuldeten Blumenhändler, Indizien deuten darauf hin, daß er sich die Verbrennungen selbst zugefügt hat.

Welche Bedeutung haben Schutzgelderpressungen nun aber tatsächlich in Deutschland? Experten sind sich uneinig. Die offizielle Statistik der Polizei weist pro Jahr kaum mehr als hundertdreißig Fälle aus – ohne politisch motivierte Spendengelderpressung. „In der Statistik finden wir aber nur die Schneeflocke auf der Spitze des Eisbergs“, meint der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer. So ist sich etwa Josef Geißdörfer, zuständiger Dezernatsleiter im bayerischen LKA, sicher, daß es in Bayern kaum einen italienischen, chinesischen oder türkischen Gastwirt gibt, der keine Schutzgelder zahlt.

Hinter vorgehaltener Hand räumt man allerdings selbst in Polizeikreisen ein, daß Geißdörfer „etwas dramatisiert“. Noch skeptischer ist Otto Diederichs, Redakteur der polizeikritischen Zeitschrift Cilip: „Schutzgelderpressungen gibt es sicher auf der Reeperbahn und im Frankfurter Rotlichtviertel, aber ich würde mich schon sehr wundern, wenn etwa meine Pizzeria in Lankwitz betroffen wäre.“

Für Außenstehende ist eine Schutzgelderpressung allerdings kaum zu erkennen. Vielfach genügt schon subtiler Druck zur Einschüchterung. Wenn etwa zwei Herren, die um einen größeren Betrag für einen kranken Verwandten bitten, betont lässig mit einem Feuerzeug spielen, dann weiß der verständige Gastwirt, daß ihm hier eine Brandstiftung angedroht wird – so jedenfalls ein typisches Beispiel der Polizei. Nur die wenigsten Betroffenen wagen den Schritt zur Anzeige, obwohl die offen auftretenden Täter eigentlich ganz einfach zu fassen wären. Steht jedoch eine kriminelle Organisation hinter ihnen, dann bleibt die Drohung auch nach einer Verhaftung der offen agierenden Täter bestehen. Darauf weisen denn auch Kumpane der Verhafteten rechtzeitig vor der Gerichtsverhandlung hin, worauf die als Zeugen geladenen Opfer oft plötzlich von unerklärliche „Erinnerungslücken“ befallen werden. Tatsächlich hinter Schloß und Riegel landen daher häufig nur Trittbrettfahrer, die die Zugehörigkeit zu einer mafiösen Bande lediglich vorgetäuscht hatten.

Zwar bietet die Polizei Zeugenschutzprogramme an, die bis zur Verschaffung einer neuen Identität reichen, Insider finden dieses Angebot jedoch selbst nicht sehr überzeugend. „Insbesondere wenn die Drohung auf Angehörige aus dem Herkunftsland erstreckt wird, sind die Möglichkeiten der deutschen Polizei begrenzt“, räumt der Berliner Oberstaatsanwalt Hans Jürgen Fätkinhäuer ein.

Und wenn es um den Aufbau einer neuen Existenz für einen Selbständigen geht, sind schnell auch die finanziellen Grenzen von Zeugenschutzprogrammen erreicht. Die Erfüllung der Forderungen der Erpresser dürfte deshalb häufig aus Sicht der Opfer das kleinere Übel darstellen. Kommt der Erpreßte gar aus einer Gegend wie Sizilien, wo Schutzgelderpressung zum Alltag gehört, hält sich vielleicht sogar die Empörung über die Straftat in gewissen Grenzen.

Kriminologe Pfeiffer glaubt, daß erst dann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Polizei und Opfern möglich ist, wenn ein Anzeigeerstatter sicher ist, daß er nicht vor Gericht auftreten muß. Bisher hatte die Polizei vor allem versucht, durch die Einrichtung von „anonymen Telefonen“ die Schwelle der Kontaktaufnahme zu senken. Doch selbst diese heißen Drähte für anonyme Hinweise fanden „nicht die erwartete Resonanz“, wie es im Bericht der Kriminalämter heißt.

Offiziell wird Pfeiffers Reformvorschlag in der Polizei noch nicht diskutiert. „Politische Bewertungen überlassen wir der Regierung“, heißt es vornehm beim BKA. Weniger zurückhaltend ist man allerdings bei der Forderung nach dem „großen Lauschangriff“, die trotz Koalitions-Hickhack ganz selbstverständlich im Kriminalamtsbericht enthalten ist.

Bei Manfred Mahr von der BAG Kritischer PolizistInnen läuten daher sofort die Alarmglocken: „Ich habe Angst, daß die Diskussion um Schutzgelderpressungen ein neues Einfallstor zum Abbau von Bürgerrechten sein könnte.“

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