: Die Regierung hat keine Angst vor Berlin ...
■ ... vertritt Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) im Streitgespräch um den Hauptstadtumzug und sieht ein offenes Regierungsviertel wachsen. Eine abgeschottete Funktionsmaschine wird gebaut, bef
taz: Frau Eichstädt-Bohlig, ist die Umzugsplanung der Bundesregierung schlecht organisiert und überdimensioniert?
Eichstädt-Bohlig: Es ist gut, daß die Ministerien nun fast vollständig in bestehende Gebäude einziehen. Das bringt Entlastung und ist stadtverträglich. Der Zeitplan zur Fertigstellung für die Parlamentsgebäude dagegen ist mit Stichtag 31. Dezember 1999 avisiert. Das bedeutet, daß der Umzug erst in der parlamentarischen Sommerpause 2000 möglich ist – der bereits 1999 fertiggestellte Reichstag steht damit ein Jahr leer.
Töpfer: Der Umzug dauert von 1998 bis 2000. Jeder weiß, daß wir schon Ende 1996 für jeden Bundestagsabgeordneten ein Büroangebot in eigenen Gebäuden haben werden. Drei Gebäude sind bereits fertig, demnächst ist das Richtfest im alten Außenhandelsministerium.
Eichstädt-Bohlig: Dem widerspricht aber die Bundestagsverwaltung. Die sagt, wenn nicht ein Mindestmaß an Ausschußsitzungsräumen zur Verfügung steht, nutzt das alles nichts.
Töpfer: Ich sehe da Lösungen für eine derartige Situation – wenn sie denn eintritt: Unter dem Gesichtspunkt der Bürokapazitäten kommt doch kein Mensch auf die Idee zu sagen, Berlin wird um die Jahrtausendewende zu wenig Büroflächen haben.
Eichstädt-Bohlig: Aber wollen Sie erst wieder zu privaten Investoren ziehen, um ihnen die Leerstandsprobleme abzunehmen, nachdem Sie ihnen schon so viele Steuergeschenke hinterhergeschmissen haben?
Töpfer: Ich spreche von Gebäuden, die dem Bund gehören. Es ist doch zwischen „all and nothing“ zu diskutieren. Es geht nicht darum, ob zum Umzugstermin die Zimmer mit Blumentöpfen ausgestattet sind, sondern um die Funktionsfähigkeit von Parlament und Regierung. Und: Warum sollten wir nicht die vorhandenen Investorenprojekte nutzen.
taz: Herr Töpfer, an ihrem Optimismus, der Bund könne ab 1998 nach Berlin umziehen, gibt es offensichtlich selbst bei der CDU Zweifel. Was antworten Sie dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, der sich in einem Brief an Helmut Kohl beklagt, daß beim Wohnungsbau für die Bundesbediensteten nichts in Bewegung kommt?
Töpfer: Ich sage ihm, daß wir bereits viele Wohnungen in Berlin haben und ich eine Situation vermeiden muß, daß diese leerstehen. Es gibt 4.000 Wohnungen aus dem Bestand der alliierten Streitkräfte. An den Bau der 8.000 Neubauwohnungen müssen wir so herangehen, daß nicht Leerstände auftreten.
Wir orientieren uns am Umzugsplan des Bundestages und der wird mit der Fertigstellung des Reichstags 1999 verbunden sein. Wenn ich vorher Wohnungen fertiggestellt habe, stehen die leer. Denn diese Wohnungen kann ich nicht für ein dreiviertel Jahr zwischenvermieten.
Eichstädt-Bohlig: Ich frage mich, warum das Bundesbauministerium den Vorschlag einer zentralen Personaltauschbörse nicht unterstützt, sondern blockiert. Die Bundesbeschäftigten wünschen sich ein Maximum an Personaltausch. Das wäre die wichtigste finanzielle Entlastung im Wohnungsbereich. Da käme man unter die 8.000 Neubauwohnungen.
Töpfer: Natürlich ist unser Ziel, mit den Mitarbeitern in Bonn oder Berlin weiterzuarbeiten und die Freiwilligkeit der betroffenen Menschen soweit als irgend möglich zu erreichen. Alle Möglichkeiten von Tausch sollten ausgelotet und genutzt werden. Aber die 12.000 Wohnungen brauchen wir trotzdem – nur eben nicht alle auf einmal.
Warum werden die 4.000 ehemaligen Alliiertenwohnungen nur zwischenvermietet und nicht auf Dauer, um den Berliner Wohnungsmarkt zu entlasten?
Töpfer: Der Bund wird seine Wohnungen selbst stellen. Das heißt, wir sind für den Berliner Wohnungsmarkt neutral. Wir entlasten ihn nicht, aber wir belasten ihn auch nicht. Nur bei mehr Neubau würden wir ihn entlasten. Daß der Bund bei Zwischenmietern im Konfliktfall mit Räumungsklagen auftritt, ist auszuschließen.
Wie wird im Regierungsviertel Öffentlichkeit zwischen Stadt und Staat hergestellt?
Töpfer: Während in unseren Nachbarländern zentrale Einrichtungen in der Hauptstadt angesiedelt sind, gilt das für Berlin nicht. Die Bundesrepublik hat eine dezentrale, föderale Struktur. Dieses föderale Prinzip soll in der Stadtstruktur erkennbar bleiben. Berlin bietet dafür gute Voraussetzungen: seine dezentrale Konzentration, die Erkennbarkeit der Stadtteile und die Aufteilung in Bezirke und deren Profile.
Wie geht das zusammen mit einem geplanten zentralen Regierungsviertel oder der Abschottung des neuen Parlamentsbereichs im Spreebogen? Wird die Regierung der 24. Bezirk in Berlin?
Töpfer: Wir werden nicht Berlin D.C. bekommen mit abgesperrten Straßen oder unzugänglichen Parlamentsbereichen. Die heutige Situation in Bonn belegt die Offenheit, die Transparenz der politischen Arbeit, die Bereitschaft von Parlamentariern und Ministern, im engen Kontakt mit den Menschen zu diskutieren.
Eichstädt-Bohlig: Aber wenn man sich die Planungen zum Bau des Parlamentsbereichs ansieht, gewinnt man den Eindruck eines Closed Shop. Tunnelerschließungen, Brücken über die Dorotheenblöcke sind geplant. Möglichst wenig Berührung mit der normalen Stadt wird hergestellt.
Der Spreebogen wird vollgeklotzt?
Eichstädt-Bohlig: Je länger ich die Realisierung erlebe, um so deutlicher wird, wie beherrschend die riesigen Verwaltungsblöcke sein werden. Angefangen damit, daß die sogenannten Alsen- und Dorotheenblöcke nur zu realisieren sind mit riesigen Abrissen. Das Kanzleramt wird demgegenüber wie eine kleine Brosche wirken. Der Verwaltungsteil des Bundestages wird eine Funktionsmaschine. Das drückt sich in der Massivität der Bebauung aus, in dem Tunnelsystem zwischen den Bauten bis hin zu den überirdischen Übergängen zwischen den Blöcken durch separate Brücken.
Da wird es beispielsweise drei mehrstöckige Brücken über die Clara-Zetkin-Straße geben. Die Wege, die die Regierenden auf der offenen Straße zurücklegen, sollen gering sein.
Haben die Planer und die Regierenden Angst vor dem Volk?
Eichstädt-Bohlig: Nicht Angst vor dem Volk, aber doch Angst vor der Großstadt. Das ist kein offenes Zugehen auf diese Stadt, sondern ein deutliches Abschirmen. Das Ergebnis wird eine anonyme Verwaltungsarchitektur sein, die keine positive Identifikation herstellt, sondern Distanz signalisiert.
Töpfer: Mit der Nutzung vorhandener Gebäude sind wir unmittelbar eingebunden in diese Stadt, nicht aus- oder abgegrenzt von den Menschen – ohne straßenübergreifende Brücken, ohne unterirdische Verbindungen.
Im Kern der Stadt, am Schloßplatz, herrscht derzeit Leere. Wie kann das ein öffentlicher Raum werden, der Menschen anzieht?
Töpfer: An diesem Ort sollten wir uns ruhig ein Stück Entschleunigung leisten. Sich mehr Zeit zu nehmen, halte ich für notwendig. Eine Stadt besteht aus vielen architektonischen Jahresringen. Das Problem ist, daß wir gegenwärtig in Berlin vieles gleichzeitig bauen – da gibt es dann eben auch schlechte, mittelmäßige und gute Bauten.
Eichstädt-Bohlig: Und was ist mit den Abrissen dort?
Töpfer: Was reißt der Bund denn ab? Wir reißen das Außenministerium der DDR ab.
Eichstädt-Bohlig: Und die Asbestsanierung des Palastes der Republik kann natürlich auch eine Abrißsanierung werden.
Töpfer: Daß jemand aus der Opposition alles, was passieren könnte, schon als politische Realität nimmt, ist mir auch klar. Aber beim DDR-Außenministerium habe ich bisher in Berlin keinen gefunden, der gesagt hat, das mußt du stehenlassen. Als ich mein Amt antrat, sollten alle drei Gebäude abgerissen werden: das Staatsratsgebäude, der Palast der Republik und das DDR-Außenministerium. Im preisgekrönten Entwurf für die Neugestaltung der Mitte von Bernd Niebuhr vom Frühjahr 1994 fehlen alle drei Gebäude.
Jetzt haben wir entschieden, daß das Staatsratsgebäude bleibt. Es ist unstrittig, das Außenministerium abzureißen. Was den Palast betrifft: Es ist richtig und mit dem Berliner Senat einvernehmlich beschlossen, daß Asbest beseitigt werden muß. Wir wollen eine vielfältige urbane Entwicklung in der Mitte Berlins. Dem steht ein ein asbestbelasteter Palast eindeutig entgegen.
Eichstädt-Bohlig: Aber noch haben wir für den ganzen Bereich kein Konzept. Was den Palast der Republik angeht, ist die Kernfrage, ob wir das Gebäude zu einer demokratischen Herausforderung machen, und ob es gelingt, einen Saal für 5.000 Personen öffentlich und demokratisch wieder zu füllen. Die zweite Frage ist, ob es gelingt, für das Gebäude eine öffentliche Trägerschaft zu organisieren, oder ob wir daraus ein Investorenprojekt machen, wo wieder mit Steuerjongleuren gearbeitet wird.
Der Palast der Republik füllt aber diesen Ort nicht.
Eichstädt-Bohlig: In der Kontroverse Palast der Republik versus Schloß bin ich dafür, den Palast stehenzulassen und ein Zweidrittelschloß dagegen zu bauen. Aus dem Spannungsfeld zwischen Palast und Schloß muß die Mitte neu definiert werden. Als neuen Baustein sollte man den Faktor Zeit ernst nehmen und aus dem Schloß ein baukulturelles Entwicklungsprojekt machen. Es wird eine Baustelle, bei der man für die teilweise originalgetreue Wiederherstellung des Schlosses mit hundert Jahren Bauzeit rechnet.
... wie beim Wahrzeichen Barcelonas, der Kirche „Sagrada Familia“, an der seit hundert Jahren gebaut wird...
Eichstädt-Bohlig: ... In dieser Zeit wird so weitergebaut, wie öffentliche und private Gelder fließen. Dazu gehört ein Ausbildungs- und Beschäftigungskonzept für diese traditionellen Handwerksberufe für Steinmetze, Kunstschlosser, Stukkateure und so weiter. Eine bloße Schloßfassade mit einem Kongreßzentrum dahinter lehne ich ab. Das finde ich alptraummäßig.
Töpfer: Zunächst muß gelten: Wo jemand etwas abreißt, muß er wissen, was dort hinkommt. Das ist beim Außenministerium im Konsens gelöst, die Bauakademie soll wiedererstehen. Zweitens bedeutet eine solche Vorgehensweise auch Respekt vor den Menschen. Denn wenn man nur abreißt, ohne zu sagen wofür, geht etwas weg, das man nicht mehr haben will. Das ist nicht vermittelbar und kontraproduktiv. Nur gegen etwas zu sein, ist mir zu wenig...
Eichstädt-Bohlig: ... was Herr Diepgen aber nach wie vor betreibt.
Töpfer: Nein, das tut er nicht.
Eichstädt-Bohlig: Doch. Daß er den Abriß des Palastes will, hat er gerade wieder erklärt.
Töpfer: Zentral ist die weitere Nutzung des gesamten Areals. Der Schloßplatz kann kein musealer Ort sein, er muß ein vitaler Ort sein. Wenn wir nur die Gebäude hinsetzen und keine Funktion mehr haben, dann haben wir ein Stadtmuseum aber nicht die Vitalität einer Stadt, die aus sich heraus weiter wachsen muß. Deswegen kann es auch keine Existenzgarantie für ein noch so bedeutend angesehenes Gebäude geben. Es geht besonders auch um Stadtstruktur und um eine Vielfalt hauptstädtischer Nutzung. Im Augenblick ist mir das, was der Palast hergibt, eher Einfalt als Vielfalt. Ein Saal mit 5.000 Sitzen ist ein zu sehr restriktives Angebot.
Eichstädt-Bohlig: Das ist doch nur ein Teil des Palastes.
Töpfer: Aber ein besonders prägender Teil. Für die Nutzung ist das außerordentlich begrenzend. Was der Palast jetzt bietet, ist nicht das, was ich brauche. Die zweite Frage ist, ob der Palast wirklich die Stadtstruktur aufnimmt. Wenn das Außenministerium abgerissen ist, wird sich die ganze Dimension des Schloßplatzes verändern.
Was bedeutet das?
Töpfer: Europäische Städte sind von ihren Plätzen her profiliert, nicht oder nur bedingt von einzelnen Gebäuden – nehmen sie Siena. Da wirst du von dem großen Platz aufgenommen. Diese Aufgabe kann die Struktur des Palastes nicht leisten. Ich bin ziemlich sicher, daß wir die Leitmotive einer Stadtentwicklung Berlins aus der Schloßepoche brauchen.
Wir haben Zeit, dies in einer offenen Diskussion differenziert zu erörtern – zu dieser offenen Diskussion bin ich gerne bereit. Aber essteht fest: Das Asbestproblem muß gelöst werden, dann entwickeln wir in einer weiteren Diskussion eine vernünftige Nutzung dafür.
Moderation: Gerd Nowakowski
und Rolf Lautenschläger
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