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Rinderwahn im Fertiggericht?

Zwei Jugendliche in Großbritannien sind am Creutzfeldt-Jakob-Syndom erkrankt. Produkte von Rindern als Ursache nicht ausgeschlossen  ■ Aus London Ralf Sotscheck

London (taz) – Die Hoffnungen der britischen Regierung, daß möglichst schnell Gras über das Thema Rinderwahnsinn wachsen möge, sind geplatzt. Das Wissenschaftsmagazin Lancet berichtet in seiner heute erscheinenden Ausgabe, daß zwei englische Teenager am Creutzfeldt-Jakob-Syndrom (CJS) erkrankt sind. CJS gilt als menschliche Form der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE), wie der Rinderwahn wissenschaftlich heißt. Es ist äußerst selten, daß CJS Menschen unter 30 befällt. Bisher waren erst vier Fälle bekannt – aus den USA (1978), aus Frankreich (1982), Kanada (1988) und Polen (1991).

Bei den beiden englischen Jugendlichen – ein 18jähriger und eine 16jährige – scheiden die bekannten Ansteckungswege aus: Weder haben sie aus Hirnzellen gewonnene Wachstumshormone erhalten noch sich einer Transplantation oder Hirnoperation unterzogen. Der junge Mann, der Anfang des Jahres gestorben ist, hat acht Jahre lang jeden Sommer den Bauernhof seiner Tante besucht und dort Rohmilch getrunken. Das Mädchen, das noch lebt, soll 1989 in Zypern ein Fertiggericht gegessen haben, in dem Rinderhirn enthalten war.

Beides reicht zwar für eine Erklärung kaum aus, doch erhärtet es den Verdacht, daß BSE auf Menschen übertragbar ist. John Collinge vom Londoner St. Mary- Krankenhaus, der beide Teenager behandelt hat, sagte: „Das extrem niedrige Alter beim Ausbruch der Krankheit sowie das Fehlen der bekannten Risikofaktoren führen unausweichlich zu einer Diskussion über mögliche Zusammenhänge zwischen der Krankheit und der BSE-Epidemie.“

Für die beiden unheilbaren Hirnkrankheiten sollen infizierte Prion-Proteine verantwortlich sein, die dem körpereigenen Eiweiß gleichen und deshalb nicht nachzuweisen sind. Der Rinderwahn, an dem bisher rund 150.000 Rinder in Großbritannien eingegangen sind, ist vermutlich durch Trockenfutter ausgelöst worden, dem Schafabfälle beigemischt waren. Doch die Behauptung der britischen Regierung, durch das Verbot der Futtermittel die Epidemie in den Griff bekommen zu haben, hält der Überprüfung nicht stand: Zwar sind die Zahlen seit 1992 zurückgegangen, doch in diesem Jahr sind immer noch knapp 10.000 Tiere an BSE gestorben, von denen viele erst nach dem Futtermittelverbot geboren waren. Der Erreger muß also auch auf anderem Wege übertragbar sein: vertikal von der Kuh aufs Kalb oder horizontal von einer Kuh auf die andere. Und von der Kuh auf den Menschen? Anfang der Woche ist bekannt geworden, daß bereits der vierte Rinderfarmer in diesem Jahr am Creutzfeldt-Jakob-Syndrom erkrankt ist. Selbst der Untersuchungsausschuß der Regierung räumte ein, es sei „schwierig, das mit Zufall zu erklären“.

Allerdings ist es Zufall, daß der Fall bekannt wurde: Der Regierungsausschuß, geübt in Verharmlosung, wollte die Sache geheimhalten. Er bat das Gesundheitsministerium, eine beruhigende Presseerklärung vorzubereiten, schickte dann aber das Fax versehentlich an eine falsche Nummer.

1994 sind 55 Menschen an CJS gestorben – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die britische Regierung führt das darauf zurück, das man heutzutage viel genauer auf die Symptome achte. Sie wiederholt gebetsmühlenhaft ihre Versicherung, daß der Verzehr von britischem Rindfleisch unbedenklich sei.

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