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Die Fede um den Frefel geht weiter

■ Die Ministerpräsidenten konnten sich nicht auf eine Rechtschreibreform einigen. Bayern begrüßt den „Erfolg“

Berlin (taz) – Sie soll nach den goldenen Worten der Ministerpräsidenten garantieren, „daß die Sicherheit der Sprachbeherrschung in Schule und Alltag gesteigert wird“ – doch die umstrittene deutsche Rechtschreibreform ist nun abermals verschoben worden. Die in Lübeck tagenden Ministerpräsidenten der Länder vertagten die anstehende Einigung gestern bis zum nächsten Frühjahr.

Klar ist jedoch, daß die Reform nicht so umfangreich ausfallen wird, wie zunächst geplant. Im neuen Alfabet wird etwa die Philosophie nach dem jetzigen Stand der Dinge weiter unter Ph und nicht unter F zu finden sein. Bei vielen Begriffen (Astma/Asthma – Rytmus/Rhythmus) sollen auch die alten Formen weiter möglich sein. Erst nach einer Übergangszeit soll außerdem letztlich entschieden werden, welche Schreibweise sich durchgesetzt hat. Für künftige Schülergenerationen, die die einfachen Formen lernen, könnte dies etwa bedeuten, daß sie zwar mit Astma leben dürfen, aber ihren Rytmus verändern müssen, weil die Mehrheit der Schreibenden es so will. Auf dem Prüfstand stehen die Schreibweisen Tausender Begriffe. Neuerungen gibt es bei Fremdwörtern, Silbentrennung, Groß- und Kleinschreibung sowie bei der Zeichensetzung. Beispielsweise soll erlaubt werden, Kommas stärker nach Gefühl zu setzen.

Damit ist die Verunsicherung in Schule und Alltag endgültig komplett. Nur eins steht unterdessen fest: Die erneute Verschiebung ist, so Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) am Freitag in einer Regierungserklärung im Münchner Landtag, „ein bayrischer Erfolg“. Zehetmair, der schärfste Gegner der Reform, hatte sich bezeichnenderweise an der reformierten Schreibweise von so alltäglichen Worten wie „Fede“, „Frefel“ und „Tron“ und an der Kleinschreibung des „heiligen Vaters“ gerieben.

Unter den Ministerpräsidenten der Länder bestehe aber Einigkeit, daß die Reform im Frühjahr 1996 verabschiedet werden und bis zum Jahr 2001 verbindlich eingeführt werden soll. Er erwarte, so Zehetmair, daß die Neuregelungen im März gemeinsam mit der Schweiz und Österreich unterzeichnet werden können. In beiden Nachbarländern ist die Reform längst beschlossene Sache.

Die Kultusministerkonferenz soll sich am 30. November und 1. Dezember erneut mit der Neuregelung befassen. Die Kultusminister sollen auch prüfen, ob die Neuregelung durch Übertragung auf eine gemeinsame Institution für den gesamten deutschsprachigen Raum durchgeführt werden solle. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber (CSU) sagte, diese Institution könne „ein gemeinsames Institut für Sprachforschung oder für die deutsche Sprache mit Österreich und der Schweiz“ sein.

Außerdem sollen die Fristen zur Umsetzung der Reform aus Kostengründen so bemessen werden, daß nicht auf einen Schlag sämtliche Schulbücher ausgetauscht werden müssen. Es ist nämlich laut Zehetmair damit zu rechnen, daß allein die Kosten für die Überarbeitung der Schulbücher 300 Millionen Mark betragen werden.

Wieviel am Ende von der Reform überhaupt übrig bleiben wird, ist allerdings immer noch kaum abzusehen. Denn wo es um den „heiligen Vater“ geht, müssen freilich hierzulande auch die allerhöchsten Instanzen ein Wort mitreden. Und so wird man laut Zehetmair die Neuregelungen am 14. Dezember in vorweihnachtlicher Atmosphäre mit Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) erörtern, bevor sie bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz im Frühjahr 1996 erneut zur Beratung vorliegen werden. Jörg Lau

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