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Ober- oder Unterkotzau?

Betonblondinen, rosa Vita, Lausbubenbuddeleien, der Kölner Dom in Stereo: starke Polarisierungen auf den Hofer Filmtagen  ■ Von Katja Nicodemus

Die zwei Hauptrollen waren schnell ausgemacht. Auf der einen Seite Ostkompost, auf der anderen das, was eine kinobetreibende Festivalteilnehmerin treffend als „Münchner Scheiße“ bezeichnete. Die Dominanz der dortigen Filmhochschule zeitigt bei den Kurzfilmen eine Unmenge kleiner, glatter Spots, Bilder aus Klein-Hollywood, Science-fictions aus dem Briefmarkenalbum, existentielle Konflikte um Bulgari-Colliers. Was, wenn die alle erst mal Spielfilme drehen?

In ästhetischer Hinsicht gehört auch Xaver Schwarzenbergers klamottige Kapitalismuskritik „Das Kapital“ in die süddeutsche Kategorie. Obwohl Christiane Hörbiger ihre Kunst der schneidenden Dehnung perfektioniert (von Peter zu Beetah), als geldgeile Chirurgengattin arglistiger denn je durch todschicke Interieurs stolziert. Auch Münchner Mist, wenn auch in unterhaltsamer Ausformung, „Nach fünf im Urwald“, Hans-Christian Schmids Generationskonflikt, der in der Elternorgie endet. Den Abspann überdauert nur die Frage nach dem besten Sendeplatz. Auf der Ostseite besagte Mischung aus Melancholie, Nostalgie, Celloklängen, sanften Landschaften, verlassenen Dörfern. Und eine Filmsprache, die die Fernbedienung noch nicht mitdenkt. Eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft auf der Wiese. Zum ausgelassenen Swing tanzt ein Paar wie in Zeitlupe, seltsam ineinander verklammert. In klaren Bildern ohne aufgesetzte Symbolik offenbart sich der Riß. Die Feier ist Fassade, ein Verrat aus DDR-Zeiten zerrüttet die Familie. In „Die Vergebung“ ballt Andreas Höntsch das Unheil in Details. Ein Blick, ein Runzeln, die eine Spurt zu hektische Handbewegung. Auch wenn die Schatten der Vergangenheit manchmal in allzu mystisch-metaphysische Gefilde driften, gehört der Film zu den wenigen, die visuell etwas hermachen.

„Neben der Zeit“ vom Babelsberg-Absolventen Andreas Kleinert verbindet östliche Endzeit mit einer Geschichte von verquaster Tragik. Aufs innigste indirekt-inzestuös verbunden, leben Mutter (Rosel Zech), Tochter (Anja Jäger) und Sohn (Silvester Groth) im letzten Kaff. Hin ist die familiäre Dreieinigkeit, als die Tochter einen knackigen Russen aufgabelt. Melancholie in Moll vom Akkordeon, Mozart-Requiem, düstere Blicke von Silvester Groth, Katastrophe unausweichlich. Bleischwere Innerlichkeit spricht aus diesem Schicksalsschichtkuchen, aber einzelne Bilder, Stimmungen bleiben haften. Zum Beispiel wenn der Russe vor dem leeren Schwimmbecken der ausgestorbenen Kaserne mit belegter Stimme ein Militärlied anstimmt. Oder Rosel Zech, die mitten in der Nacht in einer verzweifelten Übersprunghandlung die Nähmaschine anschmeißt.

Die Vorführung von Kleinerts Film bot übrigens Gelegenheit zum seltenen Kontakt mit Hofer Ureinwohnern. In unregelmäßigen Abständen verirren sich Exemplare der rustikalen Spezies aus umliegenden Spelunken ins zentrale Kino, äußern mit unartikulierten Schreien Mißmut. Besser ins Bild gepaßt hätten sie bei Pascale Schmidts Dokumentarfilm über die jodelnden Volksliedikonen Maria und Margot Hellwig. „Wenn der Himmel die Berge küßt“ fand am zweiten Tag zur perfekten Synthese mit der rostbratwurstgeschwängerten Festivalluft und den Verdauungsgeräuschen der Riesenportionen des „ausgesuchten Husumer Weideochsen“ (Gasthof Strauss).

Ortsgruppen, einheitlich organisiert

Vom heimischen „Kuhstall“, wo alles seinen Anfang nahm, begleitet die Filmemacherin ihre beiden Betonblondinen zur Tournee der „Alpenländischen Weihnacht“. Herr Hellwig, Polizeibewunderer und Manager über seine Ehe: „Ich hab' immer alles entschieden. Aber dann hab' ich die Maria auch gefragt.“ Da sprechen selige Fans von „Ortsgruppen, die einheitlich organisiert werden“, und Tochter Margot erinnert sich lächelnd an die strenge Oma: „A bisserl is da die Persönlichkeit schon gebrochen worden.“ Ein „Liadl“ nach dem andern läßt Pascale Schmidt den dualen Alptraum im Dirndl schmettern, ohne ihn auch nur eine Sekunde vorzuführen. Beim Rezitieren ihrer Traumrolle, der Tosca, wächst einem Mutter Hellwig regelrecht ans Herz: „Aber die ham mich immer ausgelacht, wenn ich das auf der Musikschule gesungen habe.“ Dazu tourneetechnisch interessante Einblicke, vom Computerprogramm „Wie basteln wir uns einen Weihnachtsmarkt“ bis zu den Proben: „Keine Zugabe, nach dem Stichwort Friede auf Erden der Kölner Dom in Stereo.“

Gegen den Hellwigschen Abgrund ist die neueste Kreation des sich ach so abgründig wähnenden Christoph Schlingensief allenfalls noch harmlose Lausbubenbuddelei. „Die Spalte“, da mag sich der ewig pubertierende Schlingel vor der Hofer Vorführung produzieren, wie er will, afrikanisches Blauhelmdrama und Messiasgeschichte, zieht keinen Hering vom Teller. Anderthalb Stunden Kindergeburtstag mit Papa Schlingensief. Es helfen weder Udo Kiers Bananenröckchen noch die Riesentitten der Kitten Natividad. Warum eigentlich mußte in Afrika gedreht werden? In Hof beginnt der Abgrund an der Haltestelle vor der Tür: Buslinie 1, Richtung: Ober- oder Unterkotzau.

Zum nächsten. „Neurosia – 50 Jahre pervers“ frohlockt von Praunheim. Schade, daß die Perversion keine filmische Form findet. Die Autobiographie bleibt bieder. Fotos vom Familienalbum, als Rosa noch Holger hieß, Ausschnitte aus früheren Arbeiten. Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Kommentare aus dem Off. Mit kritischer Reflexion ist die bunte Privatanthologie nicht gerade gespickt, eher stellt hier jemand seine Pantoffel selbstzufrieden ins Revoluzzereckchen. Und manchmal scheint der Mensch durch den Selbstentwurf. Von Praunheim auf der Waage, aus der Froschperspektive gefilmt. Zärtlich und bekümmert streichelt er den fetten Wanst. Von Praunheim mampfend, schlürfend, kauend auf dem Klo. Sein ferkeliges Eßverhalten ließ laut Legende sogar John Carpenter erbleichen. Eigentlicher Neurosia-Star ist Desirée Nick, blondgetakelte Fregatte, ewig nölendes Berlingeschoß. Als Sensationsreporterin Gesine Ganzmann- Seipel spürt sie Rosas rosa Vita hinterher, seit der von seinen Gegnern im Kino niedergestreckt wurde. Von der Leiche keine Spur. Bitter, daß sich Praunheim, nachdem seine Filme keine Wellen mehr schlagen, hier selbst zum angefeindeten Provokateur stilisiert. Schnoddermaul Nick, immerhin, verleiht der Chose Pep. Im himmelschreienden Pailetteneinteiler erzählt sie nach der Aufführung von künftigen Filmprojekten, darunter: „Bepißte Glatzen“. Demnächst in Hof?

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