: Großer Lauschangriff auf Srebrenica
■ Mindestens drei West-Geheimdienste hörten serbische Telefonate vor dem Angriff auf die UN-Schutzzone ab
Genf (taz) – Neben den USA, dem Bundesnachrichtendienst und deutschen Militärs war Frankreich sowie höchstwahrscheinlich auch der französische Oberkommandierende der Unprofor- Truppen in Ex-Jugoslawien, General Bernard Janvier, über die serbischen Pläne zur Eroberung der ostbosnischen UNO- Schutzzone Srebrenica informiert.
Denn auch der französische Geheimdienst belauschte die Telefonate und Funkgespräche zwischen Serbiens Generalstabschef Momcilo Perisić und dem Oberbefehlshaber der Karadžić-Serben, General Ratko Mladić, in denen sie die Eroberung Srebrenicas planten. Das bestätigten Geheimdienst-Mitarbeiter gegenüber der taz.
Die Franzosen belauschten auch die Kommunikation zwischen den beiden Generälen während der Angriffsoperation Anfang Juli sowie in den Tagen danach, als serbische Einheiten männliche Bewohner der Muslim-Enklave verschleppten und nach bislang vorliegenden Zeugenaussagen mindestens 3.000 erschossen. Außerdem registrierte der Geheimdienst, daß vor dem Angriff Hubschrauber und Truppenverbände der regulären Armee Serbiens die Drina-Grenze nach Bosnien überquerten und in der Region Srebrenica stationiert wurden.
Zumindest offiziell gaben die Franzosen ihr Wissen nicht an die UNO oder die Unprofor weiter. Das Unprofor-Hauptquartier in Zagreb hält nach wie vor an der Version fest, es habe „keine Anzeichen“ für serbische Pläne zur Eroberung Srebrenicas gegeben. Nach übereinstimmenden Angaben von Offizieren verschiedener Nato-Staaten ist aber davon auszugehen, daß der Unprofor-Oberkommandierende Janvier in seiner Eigenschaft als französischer Militär informiert wurde. Demnach ist es gängige Praxis, hohen Offizieren aus Nato-Staaten, die im Rahmen von UNO- Operationen Dienst tun, Aufklärungserkenntnisse ihres Landes mitzuteilen. Während den serbischen Angriffen auf Srebrenica erbat der Kommandeur der dort stationierten niederländischen Unprofor- Einheit, Tom Karremans, in Zagreb sechsmal Unterstützung durch Nato-Flugzeuge. Fünfmal lehnte General Janvier ab. Auf ein Ersuchen Karremans' reagierte Janvier nach Auskunft eines seiner Berater mit der Bemerkung: „Meine Herren, verstehen Sie nicht? Ich muß diese Enklaven loswerden.“ Bereits im Mai hatte Janvier den UNO-Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen aufgefordert, ihn „von der Verantwortung zur Verteidigung der UNO- Schutzzonen zu entbinden“.
Die US-Regierung hat bisher eine öffentliche Reaktion auf die taz-Berichte über die Informationen ihres Geheimdienstes vermieden. In Beantwortung einer internen Anfrage der niederländischen Regierung dementierte Washington die CIA-Erkenntnisse zwar nicht, erklärte aber, diese hätten keine eindeutigen Hinweise auf die Absichten der Serben geliefert. Auf eine Anfrage der taz vom 17.Oktober an Außenminister Kinkel und Verteidigungsminister Rühe ob, wann und aus welchen Quellen die Bundesregierung Kenntnisse hatte von den Ereignissen in Srebrenica, gab es bislang keine Antwort. Den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses liegt seit dem 14.September ein „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmter BND-Bericht über „Menschenrechtsverletzungen durch bosnische Serben in Srebrenica“ vor. Andreas Zumach
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