Sanssouci: Vorschlag
■ „Kunst“: Männer fechten es aus in der Schaubühne
Nach hundert Minuten am Sonntag abend war der Jubel groß. Schauspieler, Regisseur und schließlich die aus Paris angereiste Autorin wurden vom Premierenpublikum mit emphatischen Applausstürmen bedacht. Am Dienstag morgen war der Jubel noch größer. Die Theaterkritik schwelgte in Champagnerlaune und feierte die deutsche Erstaufführung von Yasmina Rezas Komödie „Kunst“, die Felix Prader an der Berliner Schaubühne inszeniert hat. Das fabelhafte Schauspielertrio Udo Samel, Gerd Wameling und Peter Simonischek hatte es sogar auf die Titelseite des größten Berliner Boulevardblatts gebracht. Das schaffen sonst bloß Juhnke und Co.
Auf den ersten Blick ein simpler Plot. Serge kauft für viel Geld ein abstraktes Bild. Marc, sein bester Freund, ist mit dem Urteil schnell bei der Hand: „Weiße Scheiße“, findet er. Und plötzlich klafft ein Riß. Die Freunde beleidigen und demütigen sich. Sind im Begriff, keine Freunde mehr, sondern Feinde zu sein. Yvan, dem Dritten im Männerbund, ist das Bild ziemlich schnuppe. Da kriegt er selbst eins auf die Mütze, daß ihm erst der Kragen und später das Trommelfell platzt.
Gerd Wameling und Udo Samel sind Serge und Marc. Serge in dunklem Anzug und Intellektuellenbrille: Abziehbild des feinsinnigen Bildungsbürgers. Marc mit Cordhose und einer Batterie homöopathischer Mittel in der Jackentasche: ein Oberlehrer, wie er im Buche steht. Mindestens um Haupteslänge überragt Peter Siminoschek die beiden Giftzwerge.
Aus der Frage, ob nun das Bild weiß ist oder nicht, ob es überhaupt ein Bild ist oder eben bloß weiße Scheiße, entwickelt sich ein Männerdrama erster Güte, in dem geheult wird, geprügelt und gebrüllt. Und aus dem Männerdrama wird, je mehr es in Fahrt kommt, eine rasante und in den stärksten Momenten süffisante Gesellschaftssatire. Dafür, daß man sich am Lehniner Platz auf keinen Fall unter Niveau amüsierte, garantierte das Programmheft: ein Kompendium mit Beiträgen über die Kunst. Von Platon über Goethe und Lacan bis Groucho Marx. Während die alteingesessenen Boulevardbühnen am unteren Ku'damm still vor sich hin dümpeln, ist die Schaubühne angetreten, zum wahren Theater am Kurfürstendamm zu werden. Esther Slevogt
„Kunst“ von Yasmina Reza, 1.-5.11., Schaubühne am Lehniner Platz
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