: Quebec bleibt Provinz
Befürworter der Unabhängigkeit unterliegen beim Referendum mit 0,6 Prozent der Stimmen ■ Von Andrea Böhm
Am Ende war es Montreal, das die kanadische Einheit rettete. Mit den Stimmen von Anglophonen, Immigranten und frankophonen Föderalisten wurde am Montag in Quebec zum zweiten Mal in fünfzehn Jahren ein Referendum abgelehnt, das der französischsprachigen Provinz die Unabhängigkeit bescheren sollte.
Im Jahr 1980 hatte sich eine klare Mehrheit von 60 Prozent der Quebecer gegen die Abspaltung ausgesprochen. Dieses Mal saßen Befürworter und Gegner bis zur Auszählung der letzten Stimmen mit flatternden Nerven und angst– oder erwartungsvollen Gesichtern vor dem Fernseher. Das Endergebnis: 50,6 Prozent stimmten gegen ein unabhängiges Quebec, 49,4 Prozent dafür. Diese knappe Niederlage veranlaßte Lucien Bouchard, den ehemaligen kanadischen Außenminister und derzeit populärsten Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung, gleich das nächste Referendum in Aussicht zu stellen. „Das nächste Mal wird es klappen. Und das nächste Mal wird früher sein als wir denken“, kündigte er an.
In fast euphorisch-kämpferischer Stimmung präsentierte sich Quebecs Premier Jacques Parizeau, der den radikalen Flügel unter den Sezessionisten repräsentiert: „Wir wollen einen Staat, und wir werden ihn kriegen.“ Parizeau, dessen separatistische „Parti Quebecois“ letztes Jahr in der Provinz an die Macht kam, ließ keinen Zweifel daran, daß er unter „wir“ weiße, frankophone Quebecer versteht. Die Niederlage am Montag, so Parizeau, sei vor allem der finanziellen Überlegenheit der Föderalisten sowie dem „ethnischen Wählerblock“ zuzuschreiben. Gemeint sind damit die Stimmen der Immigranten oder Allophonen, wie sie in Kanada genannt werden, die in Quebec neun Prozent der sieben Millionen Einwohner stellen, und überwiegend mit „Nein“ gestimmt hatten. Mit seinen Äußerungen nährte Parizeau Befürchtungen vieler Kanadier, daß der Kampf um Unabhängigkeit nun sehr viel xenophobischere Töne annehmen wird.
In der kanadischen Hauptstadt Ottawa zeigte sich ein sichtlich erleichterter Premierminister Jean Chrétien vor den Kameras. Wie viele andere Föderalisten hatte Chretien das Referendum monatelang als rituelle, aber politisch chancenlose Übung der „Parti Quebecois“ abgetan. Doch als dann der sehr viel charismatischere Lucien Bouchard, Führer des „Bloc Quebecois“ im kanadischen Parlament, Anfang Oktober an die Spitze der Kampagne trat, und die Forderung nach Unabhängigkeit mit dem Angebot einer politischen und ökonomischen Partnerschaft mit Kanada koppelte, schoß die Zahl der Befürworter einer Abspaltung in Umfragen rapide in die Höhe. Das Referendum war plötzlich zur Existenzkrise des Landes geworden.
Noch im Vorfeld hatte Chrétien angekündigt, er sähe sich im Falle einer knappen Mehrheit für die Unabhängigkeit nicht in der Lage, das Ergebnis zu akzeptieren und mit Bouchard die Einzelheiten der Sezession auszuhandeln. Die knappe Mehrheit für das „Nein“ akzeptierte Chrétien Montag nacht jedoch nur allzu gern — allerdings wohl wissend, daß die schwierigste Aufgabe noch vor ihm liegt. Denn nun muß er die verfassungsrechtlichen und politischen Konzessionen präsentieren, die er in seinen verzweifelten Appellen an die Quebecer in den Tagen vor der Abstimmung versprochen hatte.
Doch mit einer weitgehend symbolischen Anerkennung als „eigenständige Gesellschaft“ dürften sich auch jene Separatisten nicht mehr abspeisen lassen, die im Fall einer Sezession eine politische und ökonomische Partnerschaft mit Kanada eingehen wollen. Der einzigen frankophonen Provinz Kanadas den Status einer distinct society zuzubilligen, war in den letzten fünf Jahren zweimal am Widerstand westlicher Provinzen sowie der anglophonen Mehrheit des Landes gescheitert — eine Demütigung, die die Sache der Separatisten in Quebec entscheidend gestärkt hat.
Davon abgesehen, gibt es für Premierminister Chrétien nicht mehr viel Spielraum für Zugeständnisse unterhalb einer De-facto-Autonomie. Im Zuge einer zunehmenden Dezentralisierung bestimmen die Provinzen bereits weitgehend über Arbeit-, Sozial-, Bildungs- und Einwanderungspolitik. Quebec aber eine Sonderstellung im Bundesparlament zu verschaffen, was viele Frankophone aufgrund ihres Selbstverständnisses als eine von zwei „Gründernationen“ des Landes fordern, würde auf kompromißlose Opposition der anglophonen Westprovinzen stoßen.
US-Präsident Bill Clinton sicherte Chrétien telefonisch die Unterstützung für ein „starkes und einiges Kanada“ zu. Gleich nach Bekanntwerden des Ergebnisses legte der kanadische Dollar gegenüber dem US-Dollar zwei Cent zu. Die kanadischen Finanzmärkte reagierten ebenfalls mit deutlichen Kursgewinnen.
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