: Traurig wie ein Tanzbär
Eindhoven (3:0 gegen Leeds) und Kerkrade (2:2 gegen Benfica) beweisen: Fußball 2000 wird in den Niederlanden gespielt ■ Aus Kerkrade und Eindhoven Bernd Müllender
Das Verhältnis zweier Zahlen, Ergebnis genannt, taugt bisweilen zur Erklärung eines Fußballspiels nur sehr bedingt. Solches bewies der UEFA-Cup-Dienstag in den Niederlanden: Erst blamierte sich das renommierte Benfica Lissabon trotz 2:2 und Weiterkommens beim Provinzclub Roda Kerkrade, dann wurde Leeds United, Stolz Britanniens, bei Eindhovens 3:0 bis zur Lächerlichkeit vorgeführt.
Beide Clubs aus den tiefen Landen zeigten spieltaktische Hochkultur – und doch hätte die Stimmung nicht unterschiedlicher sein können. In Eindhoven, beim feinen Philips-Club, herrschte eine Mischung aus saturierter Genugtuung und freudiger Euphorie. Im Stadion von Kerkrade, kaum mehr als einen kräftigen Torwartabschlag von der Aachener Stadtgrenze entfernt, hatte sich nach brillantem Auftritt von Roda Entsetzen breitgemacht.
0:1 hatte Roda, das schon als eine Art SC Freiburg apostrophiert wird, in Lissabon verloren. Die Underdogs aus Hollands Südzipfel machten sich ohne Hektik mit klug kontrollierter Offensive an die Aufholjagd: Hinten hat man eine Art Viererziehharmonika mit frustrierend gut abgestimmter Abseitsfalle, in die die Benfica-Stürmer ausdauernd wie winterschläfrige Grizzlies hineintapsten. Vorne betreibt man das landestypische Spiel mit zwei echten Flügelflitzern. Manchmal wurde der Druck so stark, daß die bekannt ballfertigen portugiesischen Filigrantechniker erschreckend hölzern wirkten. Torchancen für Benfica: Null. Für Kerkrade: gut ein halbes Dutzend. Die engagierte Geduld wurde Mitte der zweiten Halbzeit mit zwei Treffern belohnt. 2:0 – das Volk war verzückt vor lauter Glückseligkeit.
Auf Einwechselspieler Vurens aber war das offenbar abgefärbt. Nach 87 Minuten vertändelte er den Ball, statt ihn locker bis Deutschland zu dreschen – Steilpaß, Querpaß, Tor, das Aus. Daß es wahrscheinlich sogar Abseits war, machte den Ärger nur noch größer. Der Ausgleich in der Schlußminute stellte das Kräfteverhältnis komplett auf den Kopf.
Auffallend – wie auch später am Abend in Eindhoven – ist die souveräne Ballsicherheit aller Beteiligten. Obacht, Bundesliga! Bei Nachbarns sind alle Spieler in der Lage, beidfüßig zu passen, zu tackeln und hundsgemeine Flanken zu schlagen.
Technische Ausbildung vom Bambini-Alter an zahlt sich aus: Selbst die Torhüter bereinigen jede Rückgabe souverän: mal mit rechts, mal mit links.
Sind solcherart Voraussetzungen geschaffen, kommt es, wie in Eindhoven, tatsächlich mal zu einer „Gala der Extraklasse“. Schon das Hinspiel hatte der PSV offensivlustig 5:3 gewonnen. Leeds United wurde vorgeführt. Und die sind immerhin gespickt mit Auswahlspielern diverser insularer Nationalteams – und mit Tony Yeboah. Wie an der Schnur gezogen, sauste der Ball durch die Reihen des PSV, manchmal hatte man den Eindruck, hier würde das beliebte Spielchen 5 gegen 2 mit 11 gegen 11 betrieben. Steif und ungelenk wehrte sich United, nur bedacht, das Ergebnis in Grenzen zu halten. Und zufrieden, daß der PSV spätestens nach dem zweiten Tor (43.) zurücksteckte.
Vor allem die Vorstellung des Ex-Frankfurters Tony Yeboah war mitleiderregend. Was immer er anstellte, im feinabgestimmten Geäst der Gastgeberabwehr war immer einer zur Stelle, um ihn zu bremsen. Je länger das Spiel dauerte, desto linkischer wirkte er. Am Ende wurde Yeboah gar vieltausendfach ausgelacht und verhöhnt. „Traurig wie ein Tanzbär“, meinte Uerdingens Manager Edgar Geenen, der mit der halben Mannschaft zum Anschauungsunterricht gekommen war.
Wie anders spielt da Kollege Mittelstürmer Ronaldo (18). Schlangengleich wand sich der Brasilianer immer wieder um die steifen Britannier, übertrieb indes das Einzelspiel und blieb zur Strafe ohne eigenen Torerfolg. Noch stärker als er wirbelte der offensiv alle überragende Luc Nilis, der sicher längst Weltstar wäre, hätte er einen anderen Paß als den belgischen und müßte nicht in einer traditionell minderbegabten Nationalmannschaft seine Talente verschenken.
Was den Galaabend von Eindhoven abrundete, ist das neuerdings noch einmal aufgestockte Philips-Stadion. Fast senkrecht ragen vier monumentale Tribünen hoch, am Dienstag, so schien es, bis in den Himmel. Verstärkt wird das Gespenstische dieser Fußballoper durch die langgezogenen halligen Ooohs! und Aaahs! des Publikums und ihr Klatschen, das sich zu unheimlichen Rasselgeräuschen zusammenechot.
Und was dieser Abend bewies: Es gibt also den vielbeschworenen Fußball 2000 tatsächlich. Man spielt ihn in den Niederlanden. Dabei war von Ajax Amsterdam (12 Siege in 12 Spielen) noch gar nicht die Rede. Der PSV muß am Wochenende dort ran. Roda Kerkrade hat gerade erst mit 1:6 verloren. Könnte man die Verhältnisse der Zahlen hochrechnen, man müßte für vermeintliche Größen Europas wie Leeds und Benfica das Schlimmste befürchten.
Tore: 1:0 Cocu (11.), 2:0 Pemberton (43., Eigentor), 3:0 Cocu (74.) - Zuschauer: 28.500
Tore: 1:0 Hesp (60.), 2:0 Trost (72.), 2:1 Nader (85.), 2:2 Nader (90.) - Zuschauer: 20.000
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