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Depressive Toleranz

■ Angst vor Dissens, Flucht auf die Metaebenen, Gier nach Renomée: Kurze Studie eines neuen Hamburger Autorentypus Von Carsten Klook

Ein von der Kulturbehörde mit Stipendium geförderter Literat sieht sich nicht selten konfrontiert mit einem mangelnden Interesse des Publikums und der Verlage. Auf der Suche nach einem solchen können Jahre vergehen; Jahre, in denen er sich wie eine künstlich am Leben gehaltene Existenzform vorkommen mag. So kann das Engagement der Behörde sowie des Ziegels, der inzwischen ins vierte Jahr gehenden Anthologie für Hamburger Literatur, das einzige Schulterklopfen auf dem Wege bleiben – und das kann dann eine beklemmende Hörigkeit erzeugen, wie sie kürzlich auf dem Ziegelfest, der Party zum Buch, wieder einmal zu einer SED-Parteitags-Atmosphäre führte: Statusfunktionäre, eine seltsame Einigkeit demonstrierend und einem zwangsverordneten Programm lauschend.

Der Ziegel will das literarische Geschehen in dieser Stadt porträtieren, dokumentieren und mitformulieren. Herausgegeben vom Dölling & Galitz-Verlag, unterstützt von der Kulturbehörde, ist dieses Unternehmen begrüßenswert, aber auch in Gefahr, ein Repräsentationskultur-Objekt zu sein, das die Wirklichkeit der Hamburger Literaturszene nur überdeckt.

Denn selbst im Falle einer Veröffentlichung bleiben Rückmeldungen und Publikumsinteresse für Autor oder Autorin oft aus. Auch die geringe Bereitschaft zu Auseinandersetzungen mit literarischen Formen in den Medien bringen für „Autoren unterhalb des großen Durchbruchs“ existentielle Probleme mit sich. Das Überleben in der Szene der Kollegen tritt dann in den Vordergrund und wird wichtiger als Polarisierungen und Diskurse.

Vielleicht führt auch nur die begriffstechnisch verhaßte Postmoderne durch die Zulassung der Entwürfe vieler Wirklichkeiten paradoxerweise zur weitgehenden Ausschaltung einer subjektiven Wahrnehmung – oder zumindest zu einer auf die Meta-Ebene transponierten Ästhetisierung und damit zum Verlust von individuellen Äußerungen von Erfahrungen. Weil: Wenn es n-viele Wirklichkeiten gibt, dann ist meine, subjektive, vernachlässigbar, weil ohnehin nur für mich geltend und damit, bei der derzeit grassierenden schwachen Besetzung von Identitäten, inexistent – so scheint es in Vielen zu denken.

Der neue Autoren-Typus ist mehr interessiert an Form und Pflege seiner literarischen Erscheinung, dockt gern an Literaturgeschichte an und hat die Diskussion und die Beobachtung von Mensch und Gesellschaft abgekoppelt zugunsten eines Glaubens an Schönheit – eine von der Kulturbehörde mit Vorliebe betreute Enklave. Aber das Eintreten für das Schöne, Funktions- und Verwertungsfreie, all die Schreibweisen der Einzelnen sollten nicht in den Armen der Kulturbehörde enden.

Mit dem Verzicht auf jede Form von Dissidenz konstituiert dieser neue Typus Autor Grenzen gegen das Diffuse, Umliegende, gegen das, was noch nicht ist und leistet somit Verdrängungsarbeit. Er ist einer, der, nach dem mehr oder minder ergebnislosen Marsch durch die Institutionen, es sich in ihnen gemütlich gemacht hat. Er ist selbst schon eine Art Beamter.

Der Musiker und Kulturkritiker Kristof Schreuf sprach einmal vom „wohligen-sich-einrichten-in-Systemzwängen“ – genau das findet hier statt. Die bedrohte Schriftsteller-Identität sucht sich durch zelebriertes Status-Denken zu retten, indem sie sich lustvoll als Bestandteil der Renommier-Kultur genießt.

Was ich vermisse, ist irgendein Begehren, das von dieser Szene ausgehen könnte, außer dem, dazugehören zu wollen – am besten per Handschlag. Mir geht es nicht um Feindbild-abhängige Literatur. Aber diese unbegehrliche Haltung führt zu jenem unkritischen, jedes literarische Ereignis billigendem Schweigen, das nichts ist als depressive Toleranz. Und die trägt letztlich mit bei zu einem Verschwinden des öffentlichen Raums im öffentlichen Raum.

Was dann übrig bleibt, sind allseits gebilligte Mißverständnisse und Unklarheiten. Für diese bildet das Literaturhaus das richtige Zentrum: Ein Großes, Vages, in dem die floskelhaften Einführungen der Kultursenatorin Dr. Christina Weiss das schlechte Omen abgeben, an das sich leere Rituale, überdimensionierte Begrüßungszeremonien sowie erstarrte Sprach-, Denk- und Verhaltensmuster anschließen.

Wie könnten Alternativen aussehen? Die Kleinpressen-Kultur der Siebziger Jahre ist kein ermunterndes Beispiel. Vom Programm Buch Handlung Welt ist nur noch das Buch übriggeblieben, das keiner kennt. Aus „Literatur“ ist eine „Literatürzu“ geworden; eine geschlossene Anstalt für Leute, die unter sich bleiben wollen, weil sie Offenheit fürchten.

Ein weiteres Problem dieser Literatur ist, daß sie in erster Linie sich selbst retten will und ständig damit beschäftigt ist, ihre Wichtigkeit vor anderen Medien in den Mittelpunkt zu rücken. Das nervt.

20 Jahre nach dem Tod Rolf Dieter Brinkmanns hat diese „Angstszene Kultur“ (R.D.B.) einen größeren Einfluß auf die Literaturproduktion als je zuvor und bestimmt den Wahrnehmungsprozeß vor dem Schreiben. Vielleicht ist „das Buch“ einfach nicht mehr das Medium für einen Schriftsteller, weil die Gesetze des Marktes nach marktgerechter Wahrnehmung verlangen.

Einzelne Gruppen wie PENG suchen durch eine Klamaukisierung jeglicher Schreibabsicht der Lage Rechnung zu tragen. Mit dem Erfolg, daß man die Ergebnisse einer Art sprachgewaltfreien Zone nicht ernstnehmen mag. Viele Autoren um die ehemalige Z(w)eitschrift Literapur und der daraus hervorgegangenen Werft glauben zu sehr an den Erhalt einer Souveränität der Sprache, die gegen jede Diskursivität anzuduften vermag. Deren Literatur hat sich durch die Verehrung der Form oft selbst enteignet und sich hermetisch gegen ihre eigene Lehre abgeschottet (aus der sie Kapital schöpfen könnte).

Vielleicht muß der Satz, daß das Gegenteil jedes besonders wahr erscheinenden Satzes meist ebenso wahr ist, zu einem Muskel werden, „den Blick zu öffnen für das, was offen bleibt“ (H. Heißenbüttel).

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