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Lieber Wrocklage: Junkies aussetzen verboten

■ Polizeiskandal: Staatsanwaltschaft rügt die Praxis des „Verbringungsgewahrsams“

Mitglieder der Drogenszene des Nachts in der Pampa auszusetzen ist rechtlich unzulässig, auch wenn man Polizist ist und diesen Vorgang „Verbringungsgewahrsam“ nennt. Zu diesem Ergebnis kommt die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsgruppe zum Hamburger „Polizeiskandal“ in ihrem jetzt vorgelegten Abschlußbericht. „Ingewahrsamnahmen“ oder der „Verbringungsgewahrsam“ zur Bekämpfung der offenen Drogenszene am Hauptbahnhof sind „in rechtlich hohem Maße bedenklich“ und für Junkies lebensbedrohlich.

In 10.000 Fällen haben PolizistInnen zwischen 1991 und 1994 bei Drogenabhängigen oder mutmaßlichen Dealern ohne richterlichen Beschluß eine „Ingewahrsamnahme“ vorgenommen, sprich, sie in Zellen gesteckt. Diese „Freiheitsentziehungen“ hätten in unzulässiger Weise „zu einem faktischen Ausschluß des gesetzlich vorgesehenen Richtervorbehalts geführt“, rügen die Ermittler. Es sei dringend geboten, „eine rechtlich verbindliche Klärung herbeizuführen“.

Als ebenso lebensbededrohlich und ungeeignet zur Bekämpfung der Drogenszene sieht die Staatsanwaltschaft auch den sogenannten „Verbringungsgewahrsam“. Nach dem 1992 in Kraft getretenen Landespolizeigesetz „SOG“ (Sicherheits und Ordnungsgesetz) – gegen das eine Verfassungsklage läuft – darf die Polizei bei unliebsamen Ansammlungen Personen abtransportieren und fernab an „geeigneten Orten“ wie der eigenen Wohnung, bei Bekannten oder Einrichtungen abliefern.

Im Bereich St. Georg war es jedoch üblich, Personen mitten in der Nacht in abgelegenen Gebieten wie Freihafen, Boberger Dünen oder Vierlanden auszusetzen. Verbringungsgewahrsam sei „keinesfalls eine Maßnahme gegen Mitglieder der offenen Drogenszene“, so die Ermittler. „Die Aussetzung potentieller Suchtkranker außerhalb staatlicher Verwahreinrichtungen“ berge „unkalkulierbare Risiken, so daß sich der Einsatz dieser Maßnahme im Rahmen eines Drogenbekämpfungskonzeptes bereits aus diesem Grunde verbietet.“

Die Staatsanwälte warnen Innensenator Hartmuth Wrocklage davor, diese Praxis fortzusetzen, die im ,Handlungskonzept St Georg' weiter als „Instrumentarium“ vorgesehen sei. Um diese Rechtsauffassung zu untermauern, hat die Staatanwaltschaft jetzt gegen zwei Polizisten einen Strafbefehl wegen „Freiheitsberaubung“ beantragt. „Wir wollen das rechtliche Procedere ausloten“, so Oberstaatsanwalt Martin Köhnke zur taz.

Eine generelle Ausländerfeindlichkeit wollen die Ermittler den am Kirchenallee-Revier eingesetzten BeamtInnen nicht attestieren. Die „Verrohung der Umgangsform und Sprache“ sei weniger ein Symptom „rassistischer Gesinnung“, sondern eher „Ausfluß einer oft frustrierender Tätigkeit“. In Einzelfällen allerdings sei sehr wohl „Rassismus“ Triebkraft für übergriffe gewesen. Kai von Appen

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