: So geht es aber auch nicht!
■ betr.: „Gefahr im Verzug“, Kom mentar von Dorothea Hahn, taz vom 18. 10. 95, Leserbrief „Reak tionen eines demokratischen Rechtsstaates“, taz vom 26. 10. 95
Es machte ja nach den Vorfällen in Tokyo, Oklahoma City und Frankreich beinahe den Anschein, als wenn der Terrorismusdiskurs „nach 1989“ seiner in Jahrzehnten gesetzten Konstanten abhanden zu kommen drohte. Es mochte sich einfach (unter anderem bei der taz) nicht mehr jene Emphase der alten Jahre einstellen, die, wie Peter Krause nun zeigt, offenbar doch noch bei einem Teil des Publikums des Terrorismusspektakels – einschließlich des linken Spektrums – zur Rekonstruktion stabiler Welt- und Wertverhältnisse benötigt wird.
Daß dazu nun Mythologien aus den vorsiebziger Jahren herangezogen werden, ist allerdings tragisch: Eine derartige Rekonstruktion schwarz/weißer Binaritäten, gekoppelt mit einer zeitlos-heute erhobenen Forderung nach einem starken, schützenden Staat, würde uns unweigerlich in eine düstere Vergangenheit zurückführen, die Krause bereits im Nachbarland ihr Unwesen treiben sieht.
Was ist das für eine weltverlorene Annahme, „Terroristen“ würden out of blue den Generalangriff („planmäßiges Terrorisieren, Verstümmeln und Morden“ – als exaktes Kirkpatrick-Zitat übrigens nicht ausgewiesen) auf die höchsten Werte westlicher Zivilisation (right? Wenn abkupfern, dann auch vollständig!) starten? Woher diese platte Verdinglichung ausgerechnet jenes Staates, der zur gleichen Zeit ein paar tausend Kilometer weiter im Süden einem internationalisierten l'état c'est moi folgend und unter Zustimmung des größeren Teils eben jener Bevölkerung, die nun angeblich in Angst und Schrecken versetzt werden soll, Atombomben zündet?
Krause hat recht: Terrorismus ist verabscheuungswürdig und insbesondere der demokratische Rechtsstaat hat den größeren Teil seiner Legitimation eingebüßt, wenn er nicht mehr die Sicherheit „seiner“ BürgerInnen gewährleisten kann. Aber so unangenehm diese tiefe Erkenntnis auch sein mag: Manchesmal verfolgen Staaten auch primär andere Interessen. Und im Verfolg dieser Interessen jagen sie dann zuweilen auch einmal eine „Rainbow Warrior“ in die Luft oder machen sich für Putschisten stark. Wahrlich, Peter Krause, ist es logisch denkbar, daß die jünsten Anschläge in Frankreich in irgendeinem Zusammenhang stehen mit der Unterstützung eben jener Putschisten, die seit einigen Jahren unweit Europas „ihre“ Bevölkerung in Massen meucheln und die mit diesem Krieg erst zur Entstehung jener Gruppe geführt haben, die jetzt in Frankreich (punktuell) zurückschlägt? In den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls ist die französische Bevölkerung sicherer damit gefahren, daß ihre Regierung versucht hat, zu einem Modus vivendi mit potentiellen „Terroristen“ zu gelangen. Auch wenn die jeweilige Regierung sich damit die schärfste Kritik Ihrer Heiligkeit Kirkpatrick zuzog.
Werter Krause: Wenn Sie nur für einen Augenblick Ihren Eurozentrismus hintanstellen würden, müßte doch auch Ihnen offenbar sein, daß „das planmäßige Terrorisieren, Verstümmeln und Morden zur Erzeugung von Angst und letztlich politischer Fügsamkeit“ in der Tat „eine ... gar weit größere Gefahr für die Demokratie darstellt“ als die nun instrumentalisierten repressiven Maßnahmen in Frankreich. Die Manifestation jener „weit größeren Gefahr“ ist bereits seit einigen Jahren Geschichte – nur eben jenseits des Mittelmeeres. Offensichtlich haben die algerischen Machthaber längst „jeden demokratischen Grundkonsens verlassen“ – was ihnen allerdings nur unter tatkräftiger Unterstützung insbesondere seitens Paris gelang. Zuversichtlich, daß Sie diese Zeilen noch lesen können, obgleich doch „die Terroristen“ jeden bedingungslos töten, der sich gegen sie stellt“. Ralph Kirch, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen