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Vom Schloß zum Bühnenraum

Vor 90 Jahren entstand das Rudolf-Virchow-Krankenhaus im Wedding. Heute ist es ein Uniklinikum. Teil II der Serie „Orte im Wandel“  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Wer denkt bei einem Krankenhaus schon an Architektur? Die Gebäude haben zu funktionieren. Krank sein ist schließlich kein Spaß. Umso wichtiger, die Umgebung so zu gestalten, daß sie die Genesung der Patienten unterstützt. Diesen sozialreformerischen Ansatz verfolgten Rudolf Virchow und Ludwig Hoffmann, der eine Arzt, der andere Architekt, schon zur Jahrhundertwende: Eine „Gartenstadt für Kranke“ war ihr Ziel.

Auf dem parkähnlichen Grundstück schuf die Architektur optimale Heilungsbedingungen. Senkrecht zu einer 425 Meter langen Hauptachse plazierte der Stadtbaurat 21 schlichte, eingeschossige Pavillons. Licht, Luft und Landschaft waren aktive Bestandteile einer Therapie, die auf langsame Heilung setzte. Der Patient hatte Anteil an seiner Genesung. Das Krankenhaus – ein Sanatorium. Vor dem eigentlichen Pflegebereich, am Augustenburger Platz, empfängt die Anlage ihre Besucher mit einem barocken Ehrenhof. Ludwig Hoffmann übertrug die Sprache höfischer Architektur auf Bauten öffentlicher Nutzung und erweiterte so den absolutistischen Repräsentationsanspruch des Bauherren um das aufgeklärte Element. „Eine herrliche Schloßanlage“ – so empfand Kaiser Wilhelm II. bei der Einweihung im Jahre 1906.

Der Arzt als Schloßherr

Der Krieg räumte die Hälfte der Pavillons ab. In den sechziger Jahren wurden die Lücken mit achtgeschossigen Bettenhochhäusern ergänzt. 1974 suchte ein Wettbewerb Konzepte für eine Neuordnung der Krankenhausanlage. Der Entwurf des Büros Wertz, Ottow, Bachmann und Marx erhielt den zweiten Preis. Die auf Krankenhausbau spezialisierten Münchner sahen eine symmetrisch gestaffelte Neubebauung beiderseits der zentralen Achse vor. Ihre Argumente waren „technische Effizienz und mehr Stadtqualität“. Nach heftigem Streit um den Abriß der denkmalgeschützten Pavillons wurde bis 1983 die Südschiene gebaut. Drei Jahre später beschloß der Senat die Verlagerung des Universitätsklinikums (West) an den Standort im Bezirk Wedding. Der Erhalt der letzten Pavillons als soziales Denkmal spielte keine Rolle. Die Symmetrie verlangte die gleichen Bauten von den gleichen Architekten. Tritt man heute durch die Torbögen des Eingangstraktes, wird man von einer viel strenger gefaßten Raumachse empfangen. Mächtig überbaute Eingangsportale, niedrige Kopfbauten, abgeschrägte Dachkanten, Fassadenfugen: Das Neue imitiert das Alte. Mit den Formen werden Werte übertragen: Die Autorität des kaiserlichen Bauherren wird ersetzt durch die Autorität der Medizin. Der Arzt, nicht mehr der Patient steht im Mittelpunkt. Nicht zufällig ist in den alten Empfangsgebäuden heute der prestigeträchtigste Teil der Intensivmedizin, das Deutsche Herzzentrum, untergebracht. Der Arzt als Schloßherr.

Die Gebäude spiegeln den Wandel der Medizin zu einer hochspezialisierten Technologie. Für immer weitergehendere Eingriffe in den menschlichen Körper benötigt die Intensivmedizin immer größere Flächen. Auf der fünffachen Nutzfläche stehen heute ein Drittel weniger Betten. Mit aufwendigen Installationen werden künstliche Heilungsbedingungen geschaffen. Doch eine architektonische Auseinandersetzung findet nicht statt. Die Technik wird im Dach versteckt. Der Patient wird mehr „behandelt“ als gepflegt.

Verloren gingen die Raumqualitäten. Der parkähnliche Charakter reduziert sich heute auf die Hauptallee, kaum mehr als eine Erschließungsstraße mit breitem, grünen Mittelstreifen. Der alte Wasserturm wird zwar durch eine Glaspassage frontal inszeniert, verliert aber mit dem Badehaus seine Funktion. Er bleibt nur ein point de vue. Die übrigen Gebäude verharren abgeschnitten in der Tiefe des Grundstücks. Erst ein Gedärm aus unterirdischen Gängen stellt die Verbindung her.

Kann eine Glashalle angesichts sich inflationsartig vermehrender Kommerzpassagen noch Aufenthaltsqualität signalisieren? Für die Erschließung ist sie viel zu groß. In der Halle, den Fluren und Lobbys sind Aufenthaltsbereiche zwar reichlich vorhanden, doch welche Qualität bieten sie an? Es scheint, daß sich die Symmetrie in ihrer eigenen Starre verfangen hat.

Der Umzug der Uniklinik bot die Chance eines Neuanfangs. Erstmals sollten separate Gebäude für Forschung und Lehre die latente Dominanz der Krankenversorgung verhindern. Einst markierte die Pathologie mit angebauter Trauerkapelle das symbolische Ende eines Weges „vom Leben zum Tod“. Heutzutage gibt es mehr Wissen und weniger Tote – aus der Pathologie wird die Bibliothek. Mit der Komplettierung der beiden Schienen war die Hoffmannsche Komposition aus dem Gleichgewicht geraten. 1987 verlangte ein Wettbewerb, den westlichen Endpunkt zu stärken. Auf den ersten Blick bewältigte die Berliner Architektengemeinschaft „Cornelius Deubzer König“ die Aufgabe mit barocker Raumauffassung. Eine Kreisbogenwand stellt die Pathologie in den Mittelpunkt eines Platzes. Mit seinem groben Betonwerkstein wirkt sie als abstrakter Bühnenhintergrund. Doch die raffinierte Komposition hat komplexere Bezüge. Der Bogen fängt auch die bisher abgehängte Nordallee wieder ein. Der Zirkelschlag wird durch den Würfel der Cafeteria gestoppt. Ihre Kubatur leitet sich aus den benachbarten Mittelteilen der letzten erhaltenen Pavillons ab. Ihr Abstand von der Hauptachse bestimmt zugleich die Spannweite des Bogens. Ein Durchlaß bindet das achtgeschossige Chronikerhaus in das Ensemble ein. Der Bogen verliert seine naturgemäße Strenge, ohne an Klarheit einzubüßen.

Der Durchlaß gliedert den Bogen in zwei Bauteile: rechts die Forschung, links die Lehre. Nur auf den ersten Blick wirken die Gebäude als kompakte Baumassen. Gebäudehohe Fugen sezieren einzelne Elemente: den Bogen, der die Verwaltung aufnimmt; die durch große Glasfelder abgesetzte L-förmige Figur, in der sich die Labortrakte des Forschungsgebäudes befinden; den Cafeteria-Würfel, das Dreiecksprisma und einen elliptischen Körper. Eine Komposition eigenständiger, streng geometrischer Körper, die von vor die Fassade gestellten Treppenskulpturen zusammengehalten werden.

Betritt man das Lehrgebäude, haben Bogen, Ellipse und Dreieck ihren Auftritt. Körper von geometrischer Reinheit, in erhabenem Weiß, bilden die Fassaden einer internen Piazza. Der Zwischenraum wird zum Bühnenraum. Ein Spalt zwischen Wand und Decke taucht den Raum in dramatisches Licht. Studenten schauen von logenartigen Sitznischen herab. Der Blick schwebt. Man schreitet.

Ein „Reformklinikum“

Wie durch Hauseingänge betritt man von der Halle die Gebäudeteile. Die Aufenthaltsbereiche sind durchweg überaus großzügig bemessen. Hier sollen Kongresse stattfinden. Doch außerhalb von Studentenfeten und Tagungen werden sie kaum genutzt, zumal sich die Cafeteria in ihrem exponierten Gebäudewürfel allein zum Außenraum öffnet. Auch im Forschungshaus ein reformerischer Ansatz. Früher waren sie für einzelne Professoren oder Institute reserviert. Diese behielten ihre „Erbhöfe“, auch wenn ihre Forschungstätigkeit erlahmte. Im neuen „Reformklinikum“ wird die Mehrzahl der Labore interdisziplinär, projekt- und leistungsorientiert vergeben. Die Forscherteams sollen sich gegenseitig befruchten. Versetzbare Trennwände und Glastüren erlauben, was in den großen Glasfeldern der Fassade bereits ablesbar war: Die räumliche Zusammenfassung der einzelnen Labor-„Zellen“ – ein Evolutionsvorteil. Labore sind hochtechnische Einheiten. Im Gewirr der Notwendigkeiten dominieren die Installationen schnell den Raum, reduzieren die Rolle des Architekten zum Statisten. Hier verschwindet die Technik unter neutralen Oberflächen. Sie wird nicht um ihrer selbst willen inszeniert, sondern dient der Raumqualität. Auf dem Dach thront die Gebäudetechnik, mit grünem Stahlblech verkleidet. Weit überkragend und schräg angeschnitten steht der Dachaufbau im Dialog mit dem anbrandenden Verkehr der Seestraße.

Am Ende der Achse sind die Gebäude für Forschung und Lehre ein selbstbewußtes Gegengewicht zum anpaßlerischen Pflegebereich. Über die funktionalen Forderungen hinaus schafft die Architektur eine angenehme Umgebung. Hoffen wir, daß das trotz knapper Kassen kein Unikum bleibt. Denn wer weiß, ob nicht auch die Patienten der hier ausgebildeten Mediziner davon profitieren.

In den nächsten Wohnkonzepten: Teil III der Serie „Orte im Wandel“ – Das Louisenbad im Wedding. Vom Heilbad zur Bibliothek.

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