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Aus sophistischem Axiom folgt Karneval

■ Der häßliche D. in souveräner Manier: Wie Gladbacher Anhänger den 1:0-Sieg bei AEK Athen für eine Auseinandersetzung mit klassisch-mediterranen Philosophien nutzen

Athen (taz) – Schon am Mittwoch war Athen beflaggt gewesen, als erwarte es ein Prestige-Duell der beiden Bundesliga-Borussen. Die schwarz-gelben Freunde des Großclubs AEK hoffen zu der Zeit nach der 1:4-Hinspielniederlage auf eine Art Wunder. Und die gut 1.000 Anhänger der grün-weißen Gladbacher Borussen genießen – Allerheiligen sei Dank – einen fußballerischen Kurzurlaub. Es sind nicht die ersten bekutteten Horden, die die griechische Hauptstadt angreifen: Am Dienstag hatten Geistesverwandte aus Sevilla (im UEFA--Cup bei Olympiakos Piräus), am Mittwoch haben auch Gäste aus Porto (in der Champions League bei Panathinaikos) der Stadt ihren Stempel aufgedrückt.

Während sich allerdings die Reisenden aus Spanien und Portugal problem- und ansatzlos in die mediterrane Stimmung des Landes einbrachten, setzten die Haudegen aus schwarz-rot-güldenen Landen auf Gemütlichkeit.

Man muß es sagen: In den Tavernen rund um den zentralen Omonia-Platz, im wahrlich idyllischen Gäßchen-Gewimmel der Plaka, zwischen den Tempeln der Akropolis gaben sie – bärtig, bierig und bevorzugt Karnevalsschinken auf den Lippen – in souveräner Manier einen häßlichen Deutschen. Jenen, der, den Wanst mit Gyros gefüllt, die Frauen in der U- Bahn betatscht, den Verzicht auf Springerstiefel als taktische Meisterleistung bejubelt, fünf Minuten durch die antiken Ruinen schlappt, um zu dem Resultat zu kommen: „Et lohnt sisch nit.“

Inmitten all dieser Gladbacher Freunde, deren Teilnahme die Borussia durch großzügiges Sponsoring erst möglich gemacht hatte, wirkt Uli Pott ausgesprochen deplaziert. Und ist es wieder nicht: Der 32jährige ist auch Fanatiker, Mitglied des Fanclubs „Borussenfreunde Osnabrück“ und dem Klub derart treu ergeben, daß er den jüngst errungenen Bundesliga- Sieg in München noch heute schwärmerisch als „einen absoluten Höhepunkt meines Lebens“ preist.

Mit seiner hohen Denkerstirn, der kleinen Brille und seinem mehr als 200 Vokabeln umfassenden Wortschatz ist er ein Fußball- Exot. Während die „Barbaren“, wie er gerade den rechtslastigen Fanclub „Custodes“ für dessen lautstarke Sightseeing-Tour gescholten hat, mit Griechenland Costa Cordalis („Anita“), Souvlaki und den Stern von Mykonos verbinden, hält es Pott mit Platon, Alkibiades und der Meerenge von Korinth.

In Münster hat der Mann katholische Theologie studiert. Vielleicht kommt er deshalb wie eine Mischung aus Pfaffe und Philosoph daher. „Fußball“, sinniert er, „ist dem sophistischen Axiom von Gerechtigkeit als dem Recht des Stärkeren verwandt: Recht hat, wer gewinnt.“

Im Stadion des AEK, der als Klub türkischer Exilanten im Stadtteil Nea Filadelfia („Neue Freundschaft“) Heimat gefunden hat, behält Borussia recht: Effenbergs 1:0 bringt das Viertelfinale und läßt den gläubigen Gladbacher Pott im einen Moment nahezu ausrasten. Und im nächsten weise- abgeklärt über die aristotelische Dramentheorie dozieren: „Im antiken Theater wie beim Fußball gibt's noch Leid und Lust, Sieger und Verlierer. Und Effenberg ist der Deus ex machina, der die Fäden in der Hand hält.“

So geht das noch Stunden. Die AEK-Anhänger ergehen sich derweil in resignativer Melancholie, die erwarteten handfesten Auseinandersetzungen finden nicht statt. Statt dessen fallen die siegestrunkenen Gladbacher Fans, den Tiger Effe, Uwe Kamps und Manager Rüssmann preisend, in den Schänken der Stadt über Bifteki, Retsina und die eine oder andere Bedienung her (siehe oben!).

In der U-Bahn entledigt sich Uli Pott seines Hemdes, wodurch ein Blick auf ein Borussen-Trikot Marke 80er Jahre frei wird. Den Kopf voll mit Pflipsen und Platon, Dahlin und Diogenes, summt der Philosoph eine leise Weise vor sich hin: „Wir brauchen keinen Karneval, Borussia feiert überall...“ Holger Jenrich

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