piwik no script img

Last-Minute-Reisen ruinieren die Kleinen

■ Der Deutsche Reisebüro-Verband ist sauer auf die kritische Presse und die preisbewußten Kunden, die immer öfter nur noch die billigsten Angebote buchen

Palma de Mallorca (dpa) – Im einstigen Zentrum des Billigtourismus herrscht schlechte Laune vor. Die seit Donnerstag auf Mallorca versammelte deutsche Tourismusbranche hat die seit Jahren geführte Diskussion über Last-Minute-Urlaub, Reiseschnäppchen und touristische Super-Sonder-Angebote satt.

Die Saison 1994/95 geht als das Rekordjahr für den Verkauf von Last-Minute-Reisen in die Geschichte des deutschen Tourismus ein. Fast 15 Prozent aller verkauften Reisen, so schätzt der Trierer Marktforscher Albrecht Steinecke, gingen 1995 als kurzfristig gebuchte Urlaubspakete über die Reisebüro-Theke.

Dabei streiten sich Experten noch über die wirtschaftlichen Folgen dieses Trends für die Branche. Die hat nämlich trotz der wachsenden Zahl von Schnäppchenjägern im zurückliegenden Reisesommer mit einem Umsatzwachstum von sechs und einem Wachstum der Zahl der Gäste von fünf Prozent ganz passabel abgeschnitten. Andere verweisen aber auf die Situation mittlerer und kleinerer Reiseveranstalter, die Preisabschläge nur schwer verkraften können.

Auch wenn fast alle Reiseunternehmen über das Preisdumping klagen – unter dem Marktdruck hat sich kaum ein Veranstalter dem Last-Minute-Geschäft entziehen können. So hat nach einer Umfrage des Fachblattes „Reisebüro- Bulletin“ etwa Fischer-Reisen in Hamburg rund sechs Prozent seines Angebotes in diesem Segment vermarktet; bei Jahn-Reisen waren es acht, bei Öger Tours acht bis zwölf und bei Trans Air und ITS sogar rund 18 Prozent.

Gerd Hesselmann, Präsident des Verbandes deutscher Reiseveranstalter, prognostiziert für 1996 einen Rückgang des Last-Minute-Geschäfts auf „das übliche Maß“. Marktforscher zweifeln. Nach Ermittlungen der Forschungsgemeinschaft Urlaub + Reisen (FUR) in Hamburg haben zehn Prozent aller Bundesbürger schon einmal eine Last-Minute- Reise gebucht.

Die Konkurrenz in diesem Marktsegment droht die Branche zu entzweien. So setzte die Baden- Badener „L‘Tur“ per Gerichtsbeschluß den Schutz des Begriffs „Last-Minute-Reisen“ durch. Nach dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf, dürfen solche Angebote maximal 14 Tage vor dem Abreisetermin auf den Markt kommen. Tatsächlich wurden unter dem Emblem „Last-Minute“ Reisen mit Abflugzeitpunkten in zwei bis drei Monaten angeboten. Konkurrenzunternehmen fürchten allerdings, daß „L‘Tur“ den Begriff „Last-Minute“ für sich monopolisieren wollte und mobilisierten die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs.

Noch mehr Ärger machte eine Sendung des ZDF-Wirtschaftsmagazins WiSo, das die Beratung von 50 Reisebüros in Deutschland getestet hatte. Dabei verlangten die TV-Leute das billigste Angebot für ein zuvor ausgewähltes Reisepaket. Aber nur in vier Fällen waren die Reiseverkäufer dem Wunsch nachgekommen. Als der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Reisebüro-Verbandes (DRV) vor laufender Kamera für einen solchen Fall eine Schadenersatzpflicht der Reiseagentur feststellte, kochte die Branchenwut hoch. Auf Druck der Verbandsmitglieder nahm der Mann nach 14 Amtsjahren den Hut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen