: Machtkampf mit grotesken Mitteln
In der Slowakei häufen sich die Beweise, daß der Geheimdienst den Sohn des Staatspräsidenten Kováč entführt hat. Doch die Behörden verschleppen die Ermittlungen ■ Aus Bratislawa Dietmar Bartz
Daß der Sohn eines Staatspräsidenten vom Geheimdienst außer Landes geschafft wird, galt einst als Privileg intrigengeschüttelter Bananenrepubliken. Doch damit ist es vorbei, seit sich in der unabhängigen Slowakei ebensolche unabhängigen Formen der Innenpolitik entwickeln. Dazu scheinen auch Menschenraub und Strafvereitelung zu gehören. Im Machtkampf zwischen Premierminister Vladimir Mečiar und Präsident Michal Kováč werden die Grotesken immer zahlreicher. Die Öffentlichkeit nimmt die Skandale hin, die Empörung ist begrenzt. „Die Slowakei ist kein normaler Staat“, titelte deswegen die oppositionelle Wochenzeitung domino efekt: „Willkommen in Absurdistan“.
Denn immer mehr Indizien deuten darauf hin, daß es der slowakische Geheimdienst SIS war, der vor zwei Monaten den Präsidentensohn Michal Kováč junior nach Österreich entführt hat. Die dortige Polizei hatte den Geschäftsmann, im Kofferraum seines Autos eingesperrt und betrunken gemacht, nach einem Tip gefunden. Dieser war verbunden mit dem Hinweis, daß gegen ihn ein internationaler Haftbefehl wegen Betrugs aus Deutschland vorliege. Kováč wanderte sofort in Untersuchungshaft. Derzeit wartet er, auf Kaution frei und in einem Kloster untergebracht, das österreichische Auslieferungsverfahren ab. War das Ganze, wie die Regierung glaubt, nur eine Racheaktion von ehemaligen Geschäftsfreunden, die Kováč aufs Kreuz gelegt hatten?
Mittlerweile hat ein SIS-Mitarbeiter anonym der Tageszeitung SME Einzelheiten der Aktion bekanntgegeben und sogar SIS-Direktor Ivan Lexa persönlich belastet: Er habe Lexas Stimme in einem Funkgespräch erkannt. Doch die Aufklärung der Tat wird administrativ verhindert: Seit vorletzter Woche sitzt der dritte Ermittler daran, den Vorgang aufzuklären. Seinen beiden Vorgängern war der Fall immer dann entzogen worden, wenn sie begannen, beim SIS nachzuforschen.
Dem ersten, Jaroslav Šimunič, wurde zum Verhängnis, daß er gegenüber Journalisten behauptete, der Geheimdienst sei verantwortlich, ohne dies belegen zu können – alle SIS-Mitarbeiter hatten Aussageverbot erhalten. Gegen Peter Vačok, den zweiten Untersuchungsbeamten, leitete der Generalstaatsanwalt gar ein Strafverfahren ein, weil er angeblich Geheimdienstler bestechen wollte, um mit Falschaussagen den SIS zu belasten. Über das Ermittlungsinteresse von Vačok-Nachfolger Jozef Čiž ist noch nichts bekannt. Auffällig ist aber, daß er nicht aus Bratislava, sondern aus Bánska Bystrica stammt, einer Hochburg von Premierminister Mečiar.
Der wäre der eigentliche Nutznießer der Aktion, wenn sie nicht zum Fiasko gerät. Denn die Entführung paßte wunderbar in die politische Landschaft. Mečiar will das Präsidentenamt selbst übernehmen und das Land mit einem autoritären Präsidialsystem regieren. Schon seit Monaten hatte der Premier eine Hetzkampagne gegen Kováč betrieben. Die Inhaftierung seines Sohnes hätte Kováč in der Slowakei, wo familiäre Verantwortlichkeit noch viel gilt, durchaus zum Rücktritt bringen können. Aber Kováč senior bewies Stehvermögen, und statt Kováč junior gerät nun SIS-Chef Ivan Lexa, enger politischer Freund Mečiars, in den Mittelpunkt des Skandals.
Im März 1994 hatte sich der Staatspräsident geweigert, Lexa zum Privatisierungsminister zu ernennen. Lexa stand im Verdacht, das Amt nur erhalten zu sollen, um die leeren Kassen von Mečiars Regierungspartei HZDS zu füllen. Beim anschließenden Mißtrauensvotum stürzte Mečiar, aber der Populist gewann im Oktober die Neuwahlen – und kündigte an, Kováč aus dem Amt treiben zu wollen. Und er machte Lexa zum Geheimdienstchef, denn dies ist ein Amt, das vom Präsidenten nicht bestätigt zu werden braucht.
In einem Land mit nur fünf Millionen Einwohnern ist klar: Wenn die Kováč-Entführung auf das Konto der SIS geht, wußte Lexa davon. Mečiar auch? Selbst wenn nicht – die Oppositionsparteien sind sicher, daß Mečiar Lexa nicht fallen lassen kann, weil der zu viele Interna der Partei- und Regierungsgeschäfte kennt. So liegt die Vermutung nahe, mit Lexa auch Mečiar und seine nationalistische Regierungskoalition stürzen zu können? Aber weit gefehlt – hier zeigt sich der trostlose Kreis, in dem sich die slowakische Innenpolitik bewegt. Könnte die Opposition Mečiar jetzt stürzen, er würde doch wieder gewählt werden, so konzeptionslos, unprofiliert und zersplittert sind seine Gegner. Und weil sich Freund und Feind über diese Schwäche im klaren sind, steht hinter dem öffentlichen Streit der Meinungen kein öffentlicher Druck – auch nicht, die Ermittlungen über die Entführung energisch voranzutreiben. Und damit wird die Regierung erst gar nicht in Bedrängnis gebracht.
Kürzlich erschienen dazu die Zahlen einer repräsentativen Meinungsumfrage: Zwischen Juni, also der Zeit vor der Entführung, und Oktober stieg das Vertrauen in Vladimir Mečiar von 21,5 auf 25,9 Punkte, während das in Kováč von 20,6 auf 19,2 Punkte sank. Vertrauenswürdigster Oppositionspolitiker wurde Sozialistenchef Weiss. Er erhielt nur 9,7 Punkte.
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