■ LER in Brandenburg – Kirche droht mit Verfassungsklage
: Wenn sie es doch nur wahr machte!

Ach, wie war es doch früher für die Kirchen bequem: Als ihnen in Westdeutschland die SchülerInnen scharenweise aus dem Religionsunterricht liefen, waren sie es, die von den Kultusbehörden die Einführung eines obligatorischen „Ersatzfaches“ für „Religionsflüchtlinge“ forderten. Sie haben es bekommen, einschließlich aller gewünschten Schikanen, damit „Ethik“ ja nicht zur attraktiven Alternative wird. Zweifel, ob das verfassungskonform sei, wurden von den Kultusbehörden in entschiedenem Ton, von den Kirchen mit unschuldigem Augenaufschlag beantwortet: Das liege in der Kompetenz des Staates zur Organisation der Schule.

Zur Verblüffung der Kirchen hat das Bildungsministerium in Brandenburg diese Kompetenz jetzt für sich selbst in Anspruch genommen. Und schon heißt es, da sei eine Verfassungsklage fällig. Manche Leute fassen das als Drohung auf. Warum eigentlich? Wann bietet sich schon mal die Chance, daß die Kirchen den Prozeß selber finanzieren, der sie zurechtstutzen würde? Daß ausgerechnet die Kirchen als zweiten Grund für eine Verfassungsklage die Verpflichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität ins Feld führen, entbehrt angesichts ihrer Reaktion auf das Kruzifixurteil nicht der Pikanterie. Aber nach kirchlichem Verständnis liegt Neutralität des Staates nur dann vor, wenn die Kirchen bevorzugt werden.

Das heißt mitnichten, es ließe sich leichthin über das Argument hinweggehen, das Fach Lebenskunde- Ethik-Religion (LER), über das heute in erster Lesung im Potsdamer Landtag beraten wird, sei Weltanschauungsunterricht und somit verfassungswidrig. Im Gegenteil. Zwar erklärten vor etlichen Jahren evangelische und katholische Religionslehrerverbände unisono die Einrichtung des Ethikunterrichts zur „pädagogischen Anforderung an den Staat“, die „in der Verfassung verankert“ sei. Ganz so klar ist die Sache dennoch nicht. Das Brandenburger Bildungsministerium könnte aber so argumentieren: Das Gebot der Weltanschauungsneutralität verpflichtet den Staat nicht zur „Weltanschauungsfreiheit“, sondern zum „Weltanschauungspluralismus“ sowie zur Toleranz. Und Schulunterricht ist niemals und in keinem Fach „weltanschauungsfrei“. Dies würde auch dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule widersprechen. Weltanschaulich neutraler Ethikunterricht in diesem Sinne ist also möglich und zulässig.

Der Ehrlichkeit halber sollten die Brandenburger allerdings hinzufügen, daß sie den Text abgeschrieben haben – aus der Stellungnahme einer westdeutschen Schulbehörde von 1994. Es wäre doch ganz spannend zu erfahren, was das Bundesverfassungsgericht zu diesem Problem meint. Ursula Neumann

Mitglied des Bundesvorstandes der Humanistischen Union