: Juppe geht einmal durch die Drehtür
■ Regierungsumbildung in Frankreich: Der immer unbeliebtere Premierminister Alain Juppe tritt kurz vor seiner Sozialversicherungsreform zurück und - mit weniger Personal im Kabinett - gleich wieder an
Paris (AFP/dpa/AP) – Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hat gestern überraschend seine erst vor knapp einem halben Jahr gebildete konservative Regierung umgebildet. Die Schlüsselressorts blieben unverändert: Außenminister Hervé de Charette und Verteidigungsminister Charles Millon, Finanz- und Wirtschaftsminister Jean Arthuis, Innenminister Jean-Louis Debre und Justizminister Jacques Toubon bleiben im Amt.
Das prominenteste Opfer ist Gesundheitsministerin Elisabeth Hubert, die sich mit voreiligen Äußerungen mehrfach den Zorn des Regierungschefs zugezogen hatte. Außerdem verloren die Ressortchefs mehrerer kleinerer Ministerien ihren Posten als vollwertige Minister. Statt 41 zählt das Kabinett jetzt nur noch 32 Mitglieder. Dazu gehören neben den Ministern auch beigeordnete Minister und Staatssekretäre. Schon am Nachmittag war Premierminister Alain Juppé, der den Rücktritt der Regierung eingereicht hatte von Staatspräsident Chirac mit der Bildung einer neuen Mannschaft beauftragt worden.
Die Kabinettsumbildung wurde von Beobachtern vor allem vor dem Hintergrund der Bemühungen der französischen Regierung um eine Eindämmung der Haushaltsdefizite und eine Reform der Sozialversicherung gesehen. Für Mittwoch nächster Woche ist eine Regierungserklärung über ein Sanierungskonzept der Sozialversicherung anberaumt, die mit einer Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung verbunden werden soll.
Schon seit Anfang Oktober hatte es Gerüchte und Spekulationen um eine Regierungsumbildung oder den Abgang einzelner Minister gegeben, die anschließend jedoch wieder verstummt waren. Die Opposition aus Sozialisten und Kommunisten sprach gestern von einem „Eingeständnis des Scheiterns“ und nannte die Umbildung „den Ausdruck einer tiefen politischen Krise“.
Tatsächlich ist Juppés Popularität seit seinem Amtsantritt vor knapp sechs Monaten drastisch gesunken; nach jüngsten Meinungsumfragen sind nur noch 33 Prozent der befragten Franzosen mit seiner Regierung zufrieden. Dies wird in erster Linie dem wirtschaftspolitischen Sparkurs zugeschrieben, der zu harten Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften geführt hat. Die Arbeitslosigkeit liegt in Frankreich derzeit bei 11,5 Prozent. Dennoch will die Regierung die Sozialleistungen kürzen, um das Haushaltsdefizit in Milliardenhöhe zu reduzieren. Desweiteren sollen Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst eingefroren werden. Das Defizit der Sozialversicherungen wird für dieses Jahr auf rund 65 Milliarden Franc (fast 19 Milliarden Mark) geschätzt.
Die Tageszeitung Le Monde spekulierte, daß etwa ein Drittel der bisherigen Minister ausgetauscht werden könnte. Dies wurde auch als Chance für Anhänger des früheren Regierungschefs Edouard Balladur gewertet, Kabinettsposten zu erhalten. Keine Veränderungen wurden in Schlüsselministerien wie Äußeres oder Verteidigung erwartet. Auch Wirtschafts- und Finanzminister Jean Arthuis, der dem am 25. August zurückgetretenen Alain Madelin gefolgt war, sollte nach Angaben gut informierter Kreise sein bisheriges Amt behalten.Kommentar Seite 10
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