: Aufs Töten vorbereitet
■ Die Bundeswehr diskutiert keine ethischen Fragen
Die Ehre der Soldaten hat in Deutschland noch immer mehr Stimmen als die Freiheit der Meinung. Insofern werfen die Reaktionen auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichts ein bezeichnenderes Licht auf die politische Kultur im Lande als das Urteil selbst. Der Bundestag solle sich vor die Bundeswehr stellen, fordert der FDP- Abgeordnete Nolting, und prompt bezieht die große Koalition der Wehrverteidiger von SPD bis CSU Stellung. Diese Verteidigungshaltung mutet im Lichte des Richterspruches paradox an.
Das Gericht hat im wesentlichen bestätigt, was eine Kammer bereits im August 1994 urteilte. Es hat sich also von den öffentlichen Anwürfen nicht beeindrucken lassen. Jedes Gericht, welches das Tucholsky-Zitat oder Abwandlungen davon unter Strafe stellen will, muß künftig engeren Kriterien Genüge tun: Es muß nachweisen, daß damit willentlich konkrete Bundeswehrsoldaten abwertend gemeint sind. Dies apodiktisch vorauszusetzen, wie es die Kritiker der Richter tun, heißt den einzelnen Bundeswehrsoldaten in eins zu setzen mit dem Soldatsein an sich – eine Denktradition, deren erstaunliche Zählebigkeit sich in den Politikerreaktionen erneut manifestiert.
Doch ist es nicht nur pure Tradition, die den Verteidigungsreflex auslöst. Noch nie in ihrer Geschichte war die Bundeswehr so nahe am Töten wie jetzt. Daß dies zum Handwerk gehört, nennt Generalinspekteur Naumann „die Konsequenz unseres Auftrages, kämpfen zu müssen“, und beklagt, daß dies allzulang verdrängt wurde. Diese Verdrängung, so ist anzufügen, besteht fort, sie gehört zur Pathologie einer Verteidigungspolitik, die aufs Töten vorbereitet, über die ethische Fundierung jedoch schweigt. Dieter Rulff
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