Die Sonne war schuld

■ „Nico Icon“ zeigt Nico als Model, Sängerin und Schauspielerin

Zumindest einen Song von Nico hat jeder schon einmal gehört: „All Tomorrow's Parties“ von Velvet Underground, das düster bis ins Mark gerät, weil es das Ende der Party einläutet und die ziellose Frage „What shall we do?“ im verrauchten Raum stehen läßt.

Zu diesem Zeitpunkt war die Kölnerin Nico ganz „new yorkeans“, Teil der New Yorker Boheme in Andy Warhols Factory, der sie als „geheimnisvolle Mondgöttin“ sieht – womit er noch etwas vom „deutschen Wesen“ verband. Jedenfalls zog er das damalige Model, zunächst mehr als Blickfang, zu Velvet Underground. Und John Cale, der sich in Susanne Ofteringers Filmporträt Nico Icon als einziges Velvet-Mitglied über die Kollegin ausläßt, gibt frank und frei seine Antipathie zu.

Es muß grauenhaft gewesen sein mit Nico, die kaum einen Ton traf. Irgendwann aber haben Velvet Underground diese Ungenauigkeit zum Stilprinzip erhoben, womit sie doch wieder dazu paßte. Rückblickend gesteht Cale aber auch, daß die Zusammenarbeit mit Nico seine wichtigste Erfahrung dieser Zeit war, ihre Stücke wohl die beständigsten, was er am Klavier veranschaulicht. Doch Nico wollte stets mehr sein als Oberfläche. Als sie mehr Einfluß auf die Band will, schmeißt sie Lou Reed, „der zunächst von ihrer Schönheit und ihrem Schweigen fasziniert war“, kurzerhand aus der Band.

Nach einigen Filmen mit Paul Morrisey und dem düsteren Regisseur Philippe Garrel verfolgt sie ihre Solo-Karriere in kleinen Klitschen. Hier ist auch der Punkt, an dem Nico sich gegen ihren eigenen Körper wendet, sich die Haare färbt und systematisch die eigene Schönheit vernichtet – ganz gegen das Credo von Warhol, der immer gerne auf „die Intelligenz der Schönheit“ hinwies.

Und hier wird das dokumentarische Portrait Nico Icon zum beklemmenden Dokument des Zerfalls. Das Top-Modell verwandelt sich zusehends in eine ausgelaugte Fixerin mit Einstichen bis zu den Schultern hoch, die ihre damaligen Bandmitglieder noch rückblickend verunsichert. So hielt sie dem heute in Berlin als Taxifahrer jobbenden Lutz Ulrich während der Fahrt ein Messer an den Hals. Ein anderes Mal drückte sie ihm direkt vor dem Zoll ein Set benutzter Spritzen in die Arme.

Nico Icon gelingt es aber die Geschichte der Zerrüttung nicht voyeuristisch zu rekonstruieren, sondern diese als gescheiterte Emanzipation von Männern und Männerbildern transparent zu machen. Stets hat jemand versucht, Nico zu dominieren, der Regiesseur Nico Papatakis hat Christa Päffgen sogar seinen Namen gegeben. Ihre Selbstbehauptung wird so zum tragischen Fall eines Engels, der zur Finsternis will. Für das Ende der Todessehnsüchtigen 1988 in Ibiza macht ihr einziger Sohn nicht etwa die Entzugserscheinungen verantwortlich: „Es war die Sonne.“ Volker Marquardt