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24 Jahre Hamburg – na und?

■ Abschiebung in ein fremdes Land: Zwei Schicksale in einer deutschen Weltstadt im Jahre des Herrn 1995 Von Ulrike Winkelmann

Wenn alle Stricke gerissen sind, bleibt nur noch der Eingabenausschuß der Bürgerschaft. Abgelehnte Asylsuchende und andere MigrantInnen, deren Aufenthaltsbewilligung abgelaufen ist, landen mit Glück und dem Einsatz von RechtsanwältInnen noch einmal vor diesem Gremium. Doch wird dort über die einzelnen Schicksale zu oft „im Schweinsgalopp“ entschieden, wie Anna Bruns, ausländerpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion und Mitglied im Ausschuß, kritisiert.

Gestern stellte sie der Presse zwei der gravierendsten Belege für diese These vor. Desmond Hansen-Sackey (41) und Vural Oral halten sich beide seit der Zurückweisung ihrer Gnadenersuche am 30. Oktober illegal in diesem Land auf, in dem sie seit mehr zwei Jahrzehnten wohnen. Werden sie aufgegriffen, können sie jederzeit in den Abschiebeflieger gesetzt werden.

Der gebürtige Ghanaer Desmond Hansen-Sackey lebt seit 24 Jahren in Deutschland. Er absolvierte eine Landmaschinenmechaniker-Lehre, machte das Abitur, besuchte zwei Fachhochschulen und studierte Landmaschinenbau und Verfahrenstechnik, ohne jedoch einen Abschluß zu machen. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, „ohne je“, wie Anna Bruns es für wichtig hielt zu betonen, „Sozialhilfe zu bekommen. Er lebt hier straffrei, legal und selbstfinanziert.“

Hansen-Sackey, der durch eine dänische Ahnin zu seinem Namen gekommen ist, hat einen inzwischen 17jährigen Sohn mit einer deutschen Frau, zu dem er ein vertrautes Verhältnis hat. Eine sogenannte „Scheinehe“, nur um hierbleiben zu dürfen, wolle er nie eingehen, auch sich zu verstecken, hat er jetzt keine Lust – das käme ihm komisch vor, wie er sagt. Die Ausländerbehörde begründet die Ausweisung damit, daß Hansen-Sackey nicht mehr studiere und insofern keinen „Aufenthaltszweck“ mehr vorzuweisen habe.

Vural Oral ist 23 Jahre alt und in Hamburg geboren, zählt also, betont Anna Bruns, „zu ,unseren' jungen Leuten“, die von unserer Gesellschaft geformt sind. Seine Eltern kamen Ende der 60er Jahre aus der Türkei nach Deutschland, sein Vater arbeitet bei Blohm & Voss, seine Mutter ist selbständige Schneiderin, jetzt allerdings schwer krebskrank.

Mit 15 geriet Vural in die Drogenszene und war mit 16 „schwer heroinabhängig“, so die GALierin. Das notwendige Geld beschaffte er sich mit Kleindealereien. Mit 20 Jahren wurde er von einem Jugendstrafgericht zu zwei Jahren Haft in der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand verurteilt.

Vural schaffte es, die ganze Zeit im Knast clean zu bleiben und hat vorzügliche Zeugnisse seines Bewährungshelfers vorzuweisen, der ihn als vollständig resozialisiert beschreibt.

Türkisch kann er kaum sprechen, geschweige denn lesen oder schreiben – „ich habe in der Türkei keine Zukunft“, sagt er. In der Ausländerbehörde hat er Nachweise eingereicht, daß er clean ist und eine Umschulung zum Koch beginnen könnte, „aber für die könnte ich ein Engel werden, das ist denen egal.“

Für Rolf Polle, SPD-Bürgerschaftsmitglied und Schriftführer des Eingabenausschusses, ist Oral nur ein „Kurde, der mehrfach gedealt hat.“ Da von deutschen Bürgern „Ausländer mit dem Drogenproblem identifiziert werden“, sei es dringend nötig, „das Vertrauen in die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten“ und Dealer abzuschieben, um so „der Ausländerfeindlichkeit vorzubeugen“.

Einen Widerspruch zu dem Anliegen der Bundes-SPD, in Deutschland geborene Menschen zukünftig als Deutsche anzuerkennen, sieht Polle in seiner Argumentation nicht: „Solange diese Menschen keine Deutschen sind, können wir sie auch nicht als solche behandeln.“

Was den Fall des Gahnaers Hansen-Sackey angehe, so sei doch klar, daß er dringend abgeschoben werden müsse: „Man muß diesen Leuten klarmachen, daß keine Aussicht besteht, daß sie auf Dauer bleiben können, nur weil sie hier studieren.“ Deutschland, so Polle, sei schließlich kein Einwanderungsland.

Von der Ausländerbehörde war gestern zu beiden Fällen keine Stellungnahme zu erhalten.

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