Lichtspiele: Der Kampf von Dunkelgrau gegen Schwarz
■ 100 Jahre Genrekino: Dialektische Verteidigung des Polizeifilms. Sie haben ihren schlechten Ruf durchaus verdient, aber ...
Der Gangsterfilm verherrlicht den Gangster, und da das moralisch nicht ganz korrekt ist, muß der Gangster am Ende sterben: crime doesn't pay heißt die Devise, auch wenn wir ahnen, daß dies wohl für das Kino gilt, im wirklichen Leben aber häufig ein frommer Wunsch bleibt. Und deshalb lautet der vollständige Titel eines der berühmtesten und besten Gangsterfilme „Scarface – Shame of a Nation“: Die Zensurbehörde hatte auf dem Zusatz bestanden, wollte man doch kein Risiko eingehen, daß das Publikum Howard Hawks' Meisterwerk aus dem Jahr 1931 in den falschen Hals bekäme.
Polizeifilme verherrlichen den Polizisten, und dagegen ist natürlich gar nichts zu sagen; allenfalls, daß dies insofern nicht abendfüllend ist, als jeder Wohlmeinende die aufopferungsvolle (und schlechtbezahlte) Tätigkeit der Gesetzeshüter, wenn nicht mit Sympathie, so doch mit Respekt betrachtet. Aber das Moralische, Friedrich Theodor Vischer hat das sehr richtig festgestellt, versteht sich immer von selbst. Und deswegen erinnern wir uns auch nur dunkel an James Cagney als unerschrockenen FBI-Agenten in „G-Men“ (1935); unvergeßlich hingegen ist er als Killer in „The Public Enemy“ (1931), und jeder, der seine Mama lieb hat wie ich, kennt Cagneys finalen Satz aus „White Heat“ (1949), oben auf einem Benzintank gesprochen, bevor der in die Luft fliegt: Made it, Ma – top of the world!
Sprechen wir es ohne Scheu aus: Polizeifilme sind ein bißchen langweilig und pädagogisch (James Stewart in „The FBI Story“!), und das haben wir im Kino nicht so gern. Aber dann trat Dirty Harry auf die Leinwand, ein Antipode zum herkömmlichen „Freund und Helfer“, und seitdem gibt es politisch und moralisch äußerst unkorrekte Polizeifilme, die unseren Lehrern nicht gefallen hätten. Daß wir uns nicht mißverstehen: Ich will diese hochproblematischen Filme in keiner Weise verharmlosen, aber wir können vor ihnen auch nicht einfach die Augen verschließen. Kritische Aufklärung im Sinne Richard von Weizsäckers ist mein Anliegen.
Harry Callahan ist ein hartgesottener Cop, der sich einen Dreck um Gesetze kümmert, wenn die ihn bei seiner Arbeit behindern. Callahan handelt nach dem Motto: Verbrecher sind Tiere („Ratten und Schmeißfliegen“, F. J. Strauß), sie müssen zur Strecke gebracht werden, egal wie. Und deshalb richtet er auch seine Magnum auf den gefangenen und entwaffneten Serienkiller und drückt ab: nicht im Affekt, sondern in cold blood. Und da seine Vorgesetzten und die windelweichen Politiker immerzu das Grundgesetz beziehungsweise die Strafprozeßordnung unterm Arm tragen und somit natürlich eine effektive Verbrechensbekämpfung (Großer Lauschangriff!) verhindern, wirft Dirty Harry in der Schlußeinstellung angeekelt seine Dienstmarke fort, und wir sehen, wie sie schmählich in einem Tümpel versinkt.
Harry Callahan hat viele Nachfolger gefunden: Es sind dies keine Polizisten mehr, die ihre Macken haben und auch mal durchdrehen – ist doch menschlich! –, sondern schießwütige Fanatiker wie Jim Doyle, gespielt von Gene Hackman, den man sich mühelos auf der anderen Seite vorstellen könnte. Er genießt es, die Leute fertigzumachen, seien sie Gauner oder nicht. Doyle weiß: Unschuldig ist niemand – manchem kann man nur nichts nachweisen.
„Dirty Harry“ und „The French Connection“, beide aus dem Jahr 1971, hat man nicht nur den üblichen Vorwurf der Gewaltverherrlichung gemacht, sondern auch faschistische Tendenzen nachgesagt. Und nicht einmal zu Unrecht, denn aus beiden spricht die Wut über ein Justizsystem, das Hippies, Dealer, Demonstranten, Kommunisten und andere Verbrecher nicht nur nicht unschädlich macht, sondern sogar schützt. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg waren auf ihrem Höhepunkt (1972 begannen die geheimen Pariser Waffenstillstandsgespräche), und Dirty Harry und Popeye Doyle sind Figuren, die den Haß der schweigenden Mehrheit zur Sprache bringen: in Worten der Verachtung über langhaariges Ungeziefer und weichärschige Politiker, aber auch in Taten (nuke 'em, General Westmoreland).
Das sind unheimliche Filme, und im Kino war mir ziemlich unbehaglich zumute, gehörte ich gelegentlich doch selbst zu den Demonstranten, die fröhlich „USA – SA, SS“ skandierten (in den Berliner Arbeiterbezirken, wenn wir „Bürger, runter vom Balkon, unterstützt den Vietcong!“ riefen, kriegten wir regelmäßig volle Mülltüten aufs Haupt geworfen). Wenn ich Callahan oder Doyle in die Quere gekommen wäre, oh je! Von Identifikation im engeren Sinne konnte nicht die Rede sein.
Aber fasziniert war ich doch. Nicht nur von der Radikalität, mit der hier Rache- und Haßphantasien ausagiert wurden, sondern auch davon, wie sehr uns diese Filme recht gaben: Das war doch pfeilgrad unsere These – der Rechtsstaat als Maske vor einer faschistischen Visage. Ellenbogengesellschaft, genau!
Callahan und Doyle sind keine tragischen Figuren wie die großen Westernhelden, die sich ja auch nicht unbedingt an Recht und Gesetz halten; aber wenn sie es brechen, werden sie aus dem Leben der Menschen verbannt und müssen in den Sonnenuntergang reiten. Diese Polizisten sind verzweifelte Kleinbürger, keine Helden, nicht einmal gebrochene; sie sind brutal, die Mißhandlung Verdächtiger ist Routine, sie sind bestechlich, und manchmal töten sie Wehrlose.
In „Magnum Force“, der Fortsetzung von „Dirty Harry“, ist Eastwood die Faschismusvorwürfe offenbar so leid, daß er sich am Schluß, wenn auch maulend, auf die Seite des Gesetzes und gegen eine Gruppe junger Polizisten stellt, die als vigilantes Verbrecher einfach liquidieren. So begrüßenswert Eastwoods Umkehr ist, dem Film bekommt das nicht, er ist schlecht, vom dritten Teil der Serie, „The Enforcer“, zu schweigen! Liberale Polizeifilme kannst du vergessen!
Der Kampf der Polizisten gegen die Verbrecher ist keiner von Gut gegen Böse, sondern einer von Dunkelgrau gegen Schwarz.
Polizeifilme haben ihren schlechten Ruf also verdient, und nur moralisch und politisch gefestigte Menschen sollten sie sich ansehen. Aber wer nicht in Panik gerät, wenn die Guten und die Bösen nicht schon an der Farbe der Hüte zu unterscheiden sind, der kann sich diese Filme, aus rein sozialwissenschaftlichem Interesse natürlich, antun.
Im Unterschied zum Gangsterfilm, der es uns gestattet, unseren destruktiven Tendenzen – ich bekenne: ich bin nicht frei davon – lustvoll zu frönen, ruft der richtige, der reaktionäre Polizeifilm bei unsereinem ein durchdringendes Unbehaglichkeitsgefühl hervor. Daher kann man Polizeifilme nicht lieben, und so geht es ihnen leider wie den (schlechtverdienenden) Polizisten. Kurt Scheel
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