■ In Niedersachsen dürfen Jugendliche ab 16 Jahren jetzt bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. Das Wahlrecht soll ihre Verdrossenheit über Politik, Parteien und Politiker mildern, sichert aber vor allem den Grünen und der SPD Stimmen: Mit
In Niedersachsen dürfen Jugendliche ab 16 Jahren jetzt bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. Das Wahlrecht soll ihre Verdrossenheit über Politik, Parteien und Politiker mildern, sichert aber vor allem den Grünen und der SPD Stimmen
Mit 16 Jahren an die Wahlurne
Im kommenden Herbst bei der niedersächsischen Kommunalwahl ist es endgültig soweit: Erstmals werden dann in der Bundesrepublik auch 16- und 17jährige zur Wahl gehen und über die Zusammensetzung der niedersächsischen Kreistage, Gemeinde- und Stadträte mitentscheiden. Der niedersächische Landtag hat gestern mit den Stimmen von SPD und Grünen das Mindestalter für das aktive Kommunalwahlrecht von achtzehn auf sechzehn Jahre abgesenkt. Nur die CDU mit ihrem erst 36jährigen Fraktionsvorsitzenden Christian Wulff an der Spitze wollte den Jugendlichen dieses Stimmrecht weiter verweigern. Der Vorstoß der Grünen, den 16- und 17jährigen auch das passive Wahlrecht und damit den Einzug in die Kommunalparlamente zu ermöglichen, scheiterte.
Dem Beispiel des niedersächsischen Landtags könnten bald andere Länderparlamente folgen: In Nordrhein-Westfalen und Sachsen Anhalt haben SPD und Grüne in ihren Koalitionsverträgen zumindest die Prüfung des Kommunalwahlalters 16 vereinbart. Die Grünen sind ohnehin bundesweit für die Ausweitung des Wahlrechts auch auf Jugendliche. Und die Jungsozialisten, die in Niedersachsen vor einem Jahr die erfolgreiche Kampagne für das neue Kommunalwahlalter begonnen hatten, können zumindest auch in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin auf Unterstützung durch die Mutterpartei hoffen.
Rund 5,8 Millionen Wahlberechtigte zählte Niedersachsen bisher. Zusätzlich dürfen bei den Kommunalwahlen nun 146.000 Jugendliche den Wahlzettel ausfüllen, Die 16- und 17jährigen werden etwa 2,5 Prozent aller Kommunalwahlberechtigten stellen. Im kommenden September dürfen auch 94.000 nichtdeutsche EU-BürgerInnen erstmals in Niedersachsen wählen, und eigentlich sollte nur dies bei der gestrigen Landtagsdebatte beschlossen werden. Geradezu schamhaft hatte die SPD, die im Landtag über eine Stimme Mehrheit verfügt, die Absenkung des Wahlalters mit zwei kurzen Sätzen in das Gesetz über das Wahlrecht für EU-BürgerInnen mit hineingeschrieben. Auch wenn am Ende alle 81 SPD-Abgeordneten, in deren Fraktion die Vorlage umstritten war, geschlossen für das neue Wahlalter stimmten: Der niedersächsische Innenminister Glogowski war zunächst dafür, dann dagegen, um am Ende doch noch „aus der Diskussion zu lernen“.
„Jugendliche sind politisch engagiert“
In der Debatte schickten die SozialdemokratInnen ihren keineswegs prominenten Abgeordneten Werner Buß an das Podium, um die Rechte der Jugendlichen zu vertreten. Der nannte das neue Kommunalwahlalter „einen ersten und richtigen Schritt, um Jugendliche an politischen Entscheidungen zu beteiligen und deren Vertrauen in die Demokratie zu stärken“. Ansonsten bezog er sich auf die öffentliche Anhörung des Landtages, die eine breite Mehrheit für das Kommunalwahlrecht der 16- und 17jährigen erbracht habe. Der Kinderschutzbund, die beiden Kirchen, die Jugendforschung, selbst die niedersächsische Landjugend und auch die Jugendverbände der Parteien hatten sich – mit Ausnahme der Jungen Union – eindeutig für das Wahlalter 16 ausgesprochen.
Auch der junge CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Wulff konstatierte vor dem Landtag „unter Jugendlichen eine erhebliche Verdrossenheit gegen Politik, Parteien und Politiker“. Dagegen helfe allerdings eine Absenkung des Kommunalwahlalters nicht. Wulff empfahl statt dessen eigene Jugendparlamente, wie sie die Junge Union bereits in einigen Bundesländern habe durchsetzen können. In Meinungsumfragen, in denen allerdings nur die über Achtzehnjährigen zu Wort kommen, haben nach Angaben Wulffs regelmäßig zwei Drittel der Befragten eine Absenkung des Wahlalters abgelehnt. Für Wulff sind wahlberechtigte 16- und 17jährige überfordert. Der SPD-Landesregierung warf Wulff vor, die Mittel für die Jugendhilfe, die Drogenprävention, die Bildung rigoros zu kürzen und sich mit der Senkung des Wahlalters nur scheinbar als Anwalt der Jugendlichen aufzuführen. „Freuen“ konnte sich der grüne Abgeordnete Thomas Schröder darüber, „daß die SPD nach einigem Hin und Her unsere Forderung nach Herabsetzung des Wahlalters nachkommt“. Gegen die Teilnahme von 16- und 17jährigen an Kommunalwahlen gebe es einfach keine stichhaltigen Argumente. Die Behauptung, den Jugendlichen fehle der nötige Durchblick, verschweige, daß sich in allen Altersgruppen und sozialen Bereichen mangelnde politische Urteilsfähigkeit finde. Jugendliche hätten immer wieder bewiesen, daß sie politisch interessiert und engagiert sind. Deswegen lobte der Grünen- Abgeordnete das Wahlrecht als „eine Maßnahme gegen den zunehmenden Akzeptanzverlust der parlamentarischen Institutionen“. Das eigene Wohl hatten SPD und Grüne in Niedersachsen allerdings auch im Auge: Die SPD- und GrünenwählerInnen sind unter den 16- und 17jährigen überrepräsentiert, auch wenn die Beteiligung der neuen 146.000 JungwählerInnen an den nächsten Kommunalwahlen eher bescheiden ausfallen dürfte. Jürgen Voges, Hannover
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