Sanssouci: Vorschlag
■ Tanzfabrik: Solostücke von Helge Musial und Sabine Lemke
Manche Menschen mögen den November. So liebt etwa der Dichter Peter Wawerzinek das „Nieselige“ dieses Monats und ist davon überzeugt, bei ebensolchem Wetter auf die Welt gekommen zu sein. Aber eigentlich ist der November eine eher unfreundliche Angelegenheit – und das nicht nur wegen des chronisch feuchtkalten Wetters, sondern auch wegen so bizarrer Tage wie „Allerseelen“ oder „Totensonntag“. In meiner Kindheit war der November die Zeit der Friedhofsbesuche, und am Totensonntag ging man die Verstorbenen erst in der Dämmerung besuchen und stellte Kerzen in roten Plastikbehältern auf ihre Gräber. Das war beklemmend, aber auch wunderschön.
Ähnliches mag der Tänzer und Choreograph Helge Musial erlebt haben. Letztes Wochenende hat er sein Solo-Tanzstück „November“ in der Tanzfabrik uraufgeführt. Es ist ein Stück über das Sterben, ähnlich traurig schön wie die Kerzeninszenierung auf dem Friedhof. Helge Musial ist sowieso ein guter Tänzer, aber hier, in seinem eigenen Stück, tanzt er mit erstaunlichem Furor. Ein reinstes Energiebündel, zeigt er lauter Sprünge und Drehungen, die es in sich haben. „November“ ist ein pathetisches Stück. Es ist ganz große Oper (etwas zu groß für den Tanzfabrik-Raum) und ohne Angst vor Kitsch. Musial tanzt hinter einem Gazevorhang zu gewaltig tönender Musik. Er läßt sich immer wieder zu Boden fallen und auf einem golden metallenen Etwas gebettet, werden ihm schließlich die Konturen eines Skeletts auf Kopf und Brustkorb gemalt. Manchmal kichert das Publikum — an Stellen, die wohl nicht komisch gemeint waren. Aber wunderschön getanzt wird. Musial, der einmal in Japan war, hat auf ganz wunderbare Weise Bewegungselemente von Tai Chi und Kampfsport in seinen Tanz eingewoben und in diesen Momenten sein Thema voll getroffen. Und mit dem gruftiemäßig wirkenden „Engel“ Alberto Pigato, der auf der Bühne herumsteht und manchmal Rotwein trinkt, hat er einen guten Griff getan.
Schöne Bewegungselemente gab es auch bei Sabine Lemke, die im ersten Teil des Abends, ebenfalls als Soloarbeit, „Himmelsturz“ präsentierte. Sicher in vielerlei Hinsicht gut gearbeitet, war das Stück über eine Spielerin zu Zeiten Napoleons allerdings von einer atemberaubend biederen Ästhetik. Michaela Schlagenwerth
„Himmelsturz“ und „November“, bis 26.11., Fr.-So., 20.30 Uhr, Tanzfabrik, Möckernstraße 68, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen