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Schnarchsackfaktor fast null

Nieder mit typographischer Tropfigkeit! Lob des Designs am Beispiel der Zeitschrift „Twen“, der das Münchner Stadtmuseum außerdem auch noch eine Ausstellung widmet  ■ Von Stephan Wackwitz

Einer verbreiteten kulturkritischen Fehleinschätzung zufolge ist heute das „Design wichtiger als das Sein“, die Welt ungut „durchgestylt“ und die Bundesrepublik ein Sündenpfuhl der Auswendigkeit und des Verfallenseins an den illiteraten Oberflächenreiz. Wieviel uns von solchen Zuständen leider noch trennt, kann man bis zum 28. Januar nächsten Jahres in der Ausstellung „Twen. Revision einer Legende“ lernen. Michael Koetzle hat sie für das Münchener Stadtmuseum zusammengestellt und mit einem sehr kaufenswerten Katalog versehen.

Es wird hier ein Stand des druckgraphischen und überhaupt visuellen Qualitätsbewußtseins dokumentiert, der in den neunziger Jahren, von wenigen Insider- Produkten abgesehen, auf breiter Front unterschritten wird. Keine Rede davon, daß sich Errungenschaften wie die Gestaltungsprinzipien Willy Fleckhaus' in Twen oder in seinem Umschlaggestaltungsprogramm für den Suhrkamp Verlag allgemein durchgesetzt hätten. Öd, phantasielos und platzsparend starren uns die Textblöcke aus den meisten Druckerzeugnissen der Republik an, von der staatstragend-frakturalen FAZ bis – pardon – zu dem Blatt, das der geschätzte Leser momentan in Händen hält (Na, na, na! Läuft da etwa nicht ein hübsches Pferd quer durchs Layout und zieht den Leser direkt, mittenmang und ad hoc rein in den Text? D. Red).

Am schlimmsten und ödesten wie immer: das offizielle Bonn. An typographischer Tropfigkeit durch nichts zu unterbieten etwa die sündhaft teure Publikationspalette des Presse- und Informationsamtes. Schrecklicher noch als Kohls Anzüge und Scharpings Bart die Plakate und Faltblättchen, auf denen sie uns nahegebracht werden sollen. Auch Werbung und Selbstdarstellung der deutschen Unternehmer sind entfernt von dem Witz und dem Avantgardismus etwa des britischen Design. Derlei gilt den tiefen Denkern in deutschen Bürosesseln und Couchgarnituren meist als welscher Tand, der vom Inhalt ablenkt. Es bedarf massiven Drucks von oben, ein auch nur mäßig progressives corporate design in einem deutschen Wirtschaftsbetrieb oder einer deutschen Institution durchzusetzen.

Jeder Schritt vom rechten Pfad der Langeweile trifft auf erbitterten Widerstand bei der Belegschaft und im mittleren Management. Vereinzelt ist Ansehnliches gelungen: bei Daimler-Benz zum Beispiel, bei der Wochenpost, zumeist zeitweilig beim Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen.

Am heroischen Beispiel von Twen ist für künftige Anstrengungen zu lernen, daß sich der Grad einer Abweichung vom Adenauer- Layout durch den Auflösungsgrad von Textblöcken bestimmen läßt – während man umgekehrt die Lautstärke des Geschreis über „Unübersichtlichkeit“ bei der Beurteilung druckgraphischer Produkte getrost als „Schnarchsackfaktor“ ansetzen kann. Je weniger man von links oben nach rechts unten lesen muß, desto größer ist merkwürdigerweise die Chance, daß man etwas überhaupt durchlesen möchte.

Gibt es Hoffnung?

Daß Twen, wie es in der Münchener Ausstellung zum Teil suggeriert wird, die Auflösung der Schriftkultur vorangetrieben haben soll, scheint ein doch zu viriliomäßig-norbertbolziges Globalargument. Aber daß dem Inhaltismus, der kopfnickend entgegenzunehmenden Meinungsäußerung, überhaupt dem Kartell der Gemeinschaftskundelehrer von Twen nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch eine Niederlage beigebracht worden ist, daran mag schon etwas sein. Sogar die notorisch verpennte bundesdeutsche Literaturkritik hat jüngst am neuen Roman von Grass nicht den politisch rechtschaffenen Inhalt gelobt, sondern auf die offensichtlichen, ästhetischen Schwächen hingewiesen. Vielleicht gibt es noch Hoffnung.

Ewige Fünfziger

„We can forgive a man for making a useful thing as long as he does not admire it“, heißt es im Vorwort zu Oscar Wildes „Picture of Dorian Gray“, „the only excuse for making a useless thing is that one admires it intensely.“ Die Leistung von Twen ist uneingeschränkt zu bewundern. Wahrscheinlich hat diese Zeitschrift ja wirklich in ihrem Arbeitsbereich den Anfang vom Ende der fünfziger Jahre eingeleitet, die in Wirklichkeit noch lange nicht vorbei sind. Ein Besuch im Münchener Stadtmuseum in diesen Wochen kann einem ein bißchen von der Arroganz vermitteln, die man braucht, um den Rest der dortigen Innenstadt zu ertragen.

Noch bis zum 28.Januar im Münchner Stadtmuseum

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