: Die Notruf-Frauen senden SOS
■ Der Verein wird 15 Jahre alt / Gekürzte Fördermittel bedrohen seine Existenz Von Patricia Faller
Ein SOS in eigener Sache sandte gestern der „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ Hamburg aus: „Wenn wir nicht mehr Geld bekommen, müssen wir die Beratungsstelle schließen“, erklärte die Sozialpädagogin Marlies Werner. „Wir können es nicht verantworten, Frauen die Hilfe suchen, darunter Suizidgefährdete, auf lange Wartelisten zu setzen.“
Als absolutes Finanzminimum nannten die Mitarbeiterinnen 480.000 Mark. Die Justizbehörde hatte bereits für 1995 nur 370.000 Mark genehmigt, was für Personalkosten und einen Teil der Miete reichte. Nur durch Spenden konnten die Betriebs- und Sachkosten für die Beratungsarbeit aufgebracht werden. Für 1996 wurde bereits eine Kürzung von 50.000 Mark angedroht – eine schöne Bescherung zum Geburtstag. Denn der Verein „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“, wird am kommenden Montag 15 Jahre alt. Das war der Anlaß für einen Rückblick.
Am Anfang stand eine Selbsthilfegruppe, die sich sieben Jahre später als Verein organisierte. 1988 wurde die Beratungsstelle eingerichtet, in der vier Mitarbeiterinnen unter anderem Gruppen- und Einzelgespräche anbieten. Die Notruf-Frauen leisten zudem Präventionsarbeit in Schulen oder begleiten Opfer vor Gericht oder zu Behörden.
Anfragen für Beratungen steigen stetig. Waren es 1993 noch 276, so wurden im vergangenen Jahr bereits 360 Erstkontakte registriert. Auf der Suche nach Therapieplätzen, so die Erfahrung der Notruf-Mitarbeiterinnen, zeige sich, daß es nur wenige qualifizierte Psychologinnen für Gewaltopfer gibt.
„Was die Frauen, die zu uns kommen, besonders schätzen ist, daß sie sich hier nicht rechtfertigen müssen“, berichtet Marlies Werner. „Hier weist ihnen niemand die Schuld zu und fragt, warum sie diesen Weg gewählt haben, weshalb sie das und das angezogen hatten.“ Denn in keinem anderen Bereich müßten sich Opfer so sehr rechtfertigen und nachweisen, daß sie wirklich Opfer sind, wie bei Vergewaltigungen. Die bundesweit vernetzten Notrufe fordern unter anderem Opferanwälte. Denn immer noch sei es Glücksache, daß Betroffene auf einen verständnisvollen Richter oder Staatsanwalt fänden.
Als Erfolg ihrer Arbeit werteten die Mitarbeiterinnen zwar, daß 1989 in Hamburg eine Sonderstaatsanwaltschaft, beim Landeskriminalamt ein Fachdezernat für Gewalt gegen Frauen am Berliner Tor und ein Zeuginnen-Zimmer im Landgericht eingerichtet wurden, doch personelle und räumliche Engpässe bedrohen diese Errungenschaften.
Zum Geburtstag gibt es am Montag ein Solidaritätsfest, bei dem Herrchens Frauchen, der Hamburger Spottverein, die Autorin Fanny Müller und andere ab 19 Uhr im Kampnagelcasino auftreten.
Förderverein Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen, Hamburger Sparkasse, BLZ 20050550, Kto.-Nr. 1011/211008
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