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Bier, Cappuccino und Zucker für den Affen

■ Kleine Privattheater haben ihr eigenes Publikum und ihren ganz eigenen Charme. Bei der leichten Komödie geht es ums Changieren, den Witz. Im Kellertheater sitzen Sartres Erben

Mehr noch als bei den großen Bühnen ist bei den kleinen Theatern Theater Spiel. Was an der Volks- und Schaubühne, dem Deutschen Theater oder am Berliner Ensemble mit Professionalität, Kunst und manchmal großem Scheitern inszeniert wird, kommt an den kleinen Privattheatern, Off- Bühnen und Boulevardbühnen zum Teil viel direkter und weniger abgeklärt daher: „Authentischer, wesentlicher“, würde ein geschätzter Kollege sagen.

Das Wesentliche beginnt bei den kleinen privaten Theatern oft schon am Eingang. Statt in ein großes Foyer einzutreten, steigen wir in Kellergeschosse mit postexistentialistischem Ambiente, wie etwa bei der Vagantenbühne, hinab. Oder wir müssen uns drei Fabriketagen in Kreuzberger Hinterhöfen hinaufquälen oder in Remisen in Prenzlauer Berg zwängen. Haben die Besucher noch keine Karten aus dem Vorverkauf, reicht beispielsweise im Theater zum Westlichen Stadthirschen die intellektuelle Warteschlange schon mal bis zum Treppenabsatz.

Es ist kein Geheimnis, daß man in den arrivierteren Privattheatern selten das Off-Theaterpublikum antrifft. Das riecht nach Arroganz der Ängstlichkeit. Denn wer sich ins Hansa-Theater, die Komödie oder ins Kleine Theater begibt und sich neben Ottokar aus Peine-Salzgitter und Hedwig von der Bolle- Kasse setzt, erlebt auch das, was Theater ausmacht: das Changieren, die totale Schmiere und den Zucker für den Affen. Das Theater als moralische Anstalt ist dort nicht nur tot, es geht um Unterhaltung als Supergau.

Es gehörte vor Jahren bei Anhängern der Anti-Off-Szene zu den Pflichthighlights, sich in einem inzwischen dichtgemachten Theater einen völlig unbegabten Akteur bei der Anstrengung anzusehen, den Zustand des Erschreckens zwölfmal in gesteigerter Form darzubieten. Das war die totale Schmiere. Chaplin hätte es nicht besser gemacht.

Daß das einfache Publikum in sogenannnte leichte Komödien, etwa von Curth Flatow trabt, läßt sich sozioästhetisch erklären. Daß es den Witz und die Zoten liebt, die Altsäcke Spier, Pfitzmann oder die Lauenstein „vergöttert“, spricht vom Charme, den die Menschen in großkarierten Sakkos und giftgrünen Kostümen dem Theater entgegenbringen. Sicher, der Ton ist rauher, bei Theatermunition und Screwballs – „Hat Ihr Mann Sie betrogen?“, „Ja.“ „Darunter hat meine Frau auch gelitten.“ – haut man sich auf die Schenkel, und in der Pause trinken die Herren Bier und die Damen ein Likörchen. Nie würde dieses Publikum ein Stück durchrasseln lassen, nie über Fehlbesetzungen höhnen und den Regisseur auspfeiffen. Dazu hat es zuviel Takt.

Ja, das Publikum, es wird auch bei den Privaten weniger und ist nicht mehr so einfach kategorisierbar. Während etwa Jens Peter Behrend seine Vagantenbühne „nicht als Amüsierbetrieb oder Musentempel“, sondern weiter als Theater für ein junges, anspruchsvolles Publikum („auch mit Cola und Popcorn“) sieht, gibt sich die Direktorin Keller vom Theater Tribüne vorsichtiger.

Weil andere „das besser können als wir“, habe die Tribüne leichte Komödien vom Spielplan verabschiedet, um mehr „ernstere Stücke zu inszenieren“. Dies sei zwar der schwierigere Weg, aber der bessere, sagt sie. „Und wir sprechen gleichzeitig ein anderes Publikum an.“ „Die Rassen“ (1933) von Ferdinand Bruckner ist eine solche kleine, ernste Inszenierung, die die Schaupieler mit einem Hauch zuviel Naturalismus wunderbar leicht ins Parkett tragen. Dort sitzen die Liebhaber leichter Komödien und ernsthafter Stücke beisammen und klatschen, im Pausenfoyer gibt es Bier und Cappuccino. Rolf Lautenschläger

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