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Ehrfurcht, Haß und Größenwahn

Das Land der unbegrenzten Projektionsmöglichkeiten – ein Prachtband über die gemischten Gefühle bei der „Amerikanisierung Europas“  ■ Von Richard Herzinger

Europa und Amerika: Das ist die Geschichte einer stürmischen Haßliebe. Als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ zieht Amerika seit Jahrhunderten die utopischen Projektionen der Europäer auf sich. Gleichzeitig dient es aber auch als negative Projektionsfläche für alle jene Laster und Unzulänglichkeiten, die der Europäer aus seinem Selbstbild ausschließen will. Voller Ehrfurcht bewundert er die vermeintlich unerschöpfliche Kraft und Energie der Amerikaner, um sich zugleich vor ihrer Übermacht zu fürchten und sie ob ihres angeblichen Größenwahns und kulturellen Analphabetismus zu verachten.

Glaubt man den Europäern, ist ihre ach so kostbare und unvergleichliche Kultur ständig aufs dramatischste von der Zerstörung durch den amerikanischen (Un-)Kulturimperialismus bedroht. Was sie nicht daran hindert, sich seit Jahrzehnten leidenschaftlich den Wonnen der Amerikanisierung hinzugeben. Wie schön die sein kann, wie gleichermaßen faszinierend, banal und grotesk sie ist, führt uns der von Bernd Polster herausgegebene, reich und bunt illustrierte Band mit dem Titel „Westwind“ auf ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Weise vor. Hier erfährt man erst mal harte Fakten: Von der Ampel und der Atombombe über die Käseecken, das Ketchup, die Meinungsumfragen und das Motel bis zum Tampon und der Zahnpasta sind „Amerikanische Erfindungen von A bis Z“ im Überblick aufgeführt. Und der kulturkritische Sprachpurist darf sich bei der Lektüre eines „ABC der Amerikanismen“ gruseln. Die Aufsätze (u.a. von Gerd Ruge, Klaus Schütz und Barbara Sichtermann), die die politische und wirtschaftliche Vorbildfunktion des „Modells Amerika“ ebenso diskutieren wie die Prägungen des Konsumverhaltens, der Lebensstile sowie der Kunst und Architektur Europas durch die Amerikanisierung, spiegeln die Ambivalenz des europäischen Blicks auf den mißtrauisch beargwöhnten Partner wider: Immer war Amerika „Traum und Alptraum“ zugleich.

Schon gar in Deutschland, wo einerseits die romantisierende Faszination des amerikanischen „Großstadt-Dschungels“ die literarisch-künstlerische Moderne zu Höchstleistungen antrieb, wo aber andererseits der Haß gegen die „halb verjudeten, halb vernegerten“ (Adolf Hitler) Vereinigten Staaten ein fester Bestandteil völkischen Selbstbewußtseins und ein Kernstück der NS-Ideologie gewesen ist. Nach dem Krieg tendierte die junge Generation nachholwilliger junger Demokraten zu einer Idealisierung der USA. Spätestens die Kämpfe der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die das Ausmaß rassistischen Gewaltpotentials im weißen Amerika enthüllten, und das mörderische Desaster des Vietnamkriegs erschütterten die unkritische Erwartungshaltung nachhaltig. In den Augen der zukunftsgläubigen Wirtschaftswunder-Deutschen hatte Amerika, wie Gerd Ruge formuliert, mit diesem Krieg „seine Unschuld verloren“.

Die Ermordung John F. Kennedys besaß dabei einen besonders hohen Symbolwert. Diesen jungen Präsidenten hatte Willy Brandt, wie dessen damaliger Berater Klaus Schütz in seinem Beitrag enthüllt, bei seiner Bundestagswahlkampagne 1961 regelrecht zu kopieren versucht. Kennedy galt wie kein anderer als Synonym des guten Amerikas. Nach seiner Ermordung wurde Amerika dagegen immer mehr mit monströsen Gewaltausbrüchen und enthemmtem Irrationalismus identifiziert. Als Personifizierung dieses Gegenbildes wurde später Ronald Reagan wahrgenommen. Seine Amtszeit bezeichnet wohl den bisherigen Tiefpunkt amerikanischer Popularität im Nachkriegseuropa.

Wie das vorherige Positivbild beruhte auch dieses Negativbild auf extremen Klischees, zu denen die Europäer in bezug auf Amerika – ungeachtet allen inzwischen verfügbaren Wissens über die Vereinigten Staaten – nach wie vor neigen. Ihnen im Sinne einer nüchterneren und differenzierteren Betrachtung entgegenzuwirken, ist das Anliegen des vorliegenden Bandes. Und doch entkommt auch er der Perpetuierung von Klischeebildern nicht: Die bunten, schrillen, plakativen Symbole prägen das illustrative Erscheinungsbild des Bandes, der auf gängige Signale und Wiedererkennungseffekte setzt. Amerikanisierung – das ist Rock'n'Roll, Lucky Strike, Pop-art, Barbie, Big Mäc, das sind protzig-schicke Autos und abstruse Alltagstechnologie, vom Lockenwickler bis zur Tiefkühltruhe. Daß sie – gerade in Deutschland – auch einen mühsamen Prozeß der Demokratisierung bedeutete und daß die kulturelle Amerikanisierung keineswegs unwidersprochen angenommen wurde, sondern bis heute immer wieder als Schreckensbild im innereuropäischen Kulturkampf herhalten muß, bleibt vor dieser glatten Fassade unterbelichtet. Die „Amerikanisierung Europas“ – das war und ist nicht nur der Import amerikanischer Waren und Gewohnheiten, sondern es ist zu einem nicht geringen Ausmaß auch ein Konstrukt in den Köpfen der Europäer selbst.

Wer jedoch durch die spektakuläre Verpackung dringt, stößt in den zahlreichen Beiträgen auf ein breites Spektrum von Aspekten und Deutungen. Neben ideologiekritischen Attacken auf die Schattenseiten des american way of life und seine vermeintlichen Repräsentanten wie Rambo, John Wayne oder den Marlboro-Mann finden sich erfrischend kritische Analysen der europäischen Amerika-Projektionen. So räumt Dietrich Leder mit der „Hollywood- Lüge“ der europäischen Filmlobby auf. Den larmoyanten Jammerlappen unter den deutschen Regisseuren und Produzenten, die sich von der Übermacht amerikanischer Firmen am Herstellen erträglicher Filme gehindert fühlen, rechnet er genüßlich die alles in allem höchst deprimierende Bilanz der so oft weihevoll beschworenen „deutschen Kinokultur“ vor: Von „Jud Süß“ über Blacky Fuchsberger bis Roy Black reicht der kleine Horrorladen. Und den protektionistischen Gatt-Gegnern schreibt Leder ins Stammbuch: „Den Schutz der europäischen Monopolisten Berlusconi, Bertelsmann, Canal plus und Kirch vor ihren amerikanischen Konkurrenten mit der europäischen Film- und Fernsehkultur zu begründen“, sei schlichtweg „ein Aberwitz“.

Mit Brillanz und Lakonie beschreibt Michael Rutschky die seltsam widersprüchliche Haltung der 68er gegenüber den USA: Kulturell hemmungslose Amerika-Fans, erklärten sie den „amerikanischen Imperialismus“ zum Hauptfeind der Menschheit. Was die Amerikanisierung vor allem bedeutet, bringt Rutschky unmißverständlich auf den Punkt: die Verwandlung einer nationalen Gesellschaft in ein turbulentes multiethnisches Gemisch – ein Treiben wie schon einst im alten Rom. Bei seiner Einschätzung der Rolle Amerikas im und nach dem Zweiten Weltkrieg beweist Rutschky Mut zur gewagten geschichtsmorphologischen Spekulation: „Meine Lieblingsidee ist“, so schreibt er, „daß es sich bei den Amerikanern eigentlich um die Römer handelte, die auf dem Peleponnes Frieden stifteten, weil Athen einen fürchterlichen Krieg entfesselt hatte, der beinahe alle Errungenschaften vernichtete. Rom, Athen kulturell tief verpflichtet, mußte das verrückt gewordene Athen zur Raison bringen.“ Das ist nicht nur hübsch ausgedacht, es stimmt auch haargenau.

Heute jedoch ziehen sich die neuen Römer schrittweise aus Europa zurück. Auch das erklärt wohl das gegenwärtige starke Interesse an der Geschichte der „Amerikanisierung Europas“: Nach dem vorläufigen Ende der Pax Americana macht sich Europa auf die Suche nach einer neuen politischen und kulturellen „Identität“.

Hoffen wir, daß wir dieses Unterfangen überleben werden, ohne daß uns die Amerikaner einmal mehr vor uns selbst retten müssen.

Bernd Polster (Hrsg.): „Westwind. Die Amerikanisierung Europas. DuMont Verlag, zahlreiche Abb., 264 Seiten, geb., 49,80 DM

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