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Der Koran schweigt

Die Exegeten streiten: Stürme der Entrüstung beim Berliner Symposium „Der Koran und die Moderne“  ■ Von Jürgen Gottschlich

Die Offenbarung ist göttlich, aber alles, was darüber gesagt wird, ist menschliche Auslegung der Offenbarung. Der Koran selbst ist stumm.“ Mit dieser These sorgte der iranische Philosoph Abdel Karim Sorush nicht nur in Berlin für lebhafte Debatten, sondern vor allem für erheblichen Aufruhr an den großen Universitäten des Iran. Während im Rahmen der Orient-Tagung im Berliner Haus der Kulturen der Welt moderat und höflich drei Tage lang über den „Koran und die Moderne“ diskutiert wurde, sah sich Abdel Karim Sorush zu Hause handgreiflichem Widerspruch ausgesetzt. Erst in Isfahan, wenige Tage später dann in Teheran, stürmten im Oktober islamische Schlägertrupps seine Vorlesungen und drohten ihn buchstäblich zu erschlagen. Sorush konnte diesen Angriffen jeweils nur knapp entkommen.

Vor tätlichen Angriffen blieb Nasr Hamid Abu Zaid aus Kairo zwar bislang verschont, seine Gegner, die ideologisch aus demselben Lager kommen wie die Schläger gegen Sorush, ließen statt dessen die Justiz für sich arbeiten. Islamische Fundamentalisten zeigten Abu Zaid als Abtrünnigen an, der nach islamischen Recht von seiner rechtgläubigen Frau geschieden werden muß. Das kaum Vorstellbare fand tatsächlich statt – der zutiefst religiöse Professor der Literaturwissenschaft wurde in zweiter Instanz von einem Kairoer Gericht als „Apostat“ von seiner Frau zwangsgeschieden.

Was macht die beiden aus Sicht der islamischen Fundamentalisten so gefährlich? Sowohl Abdel Karim Sorush als auch Nasr Hamid Abu Zaid waren in dieser Woche zusammen mit sechs weiteren Denkern aus der islamischen Welt zu einem Symposium nach Berlin gekommen. Ziel der Veranstaltung war es, islamische Reformdenker mit deutschen Philosophen zu konfrontieren, um nach „Brücken zwischen den Kulturen“ zu suchen. Womit sowohl Sorush wie auch Abu Zaid im Iran beziehungsweise in Ägypten so massiven Unwillen erregt haben, gehört hierzulande auf den ersten Blick zu einer Selbstverständlichkeit: Sie bedienen sich einer wissenschaftlichen, historisch-kritischen Methode der Textanalyse auch und vor allem gegenüber dem Koran. „Der Text an sich, auch der religiöse Text, auch der offenbarte Text“, spricht erst in der historischen Interpretation. Bereits die Niederschrift Mohammeds des Propheten war eine Auslegung der Offenbarung, die sich ja über fast 20 Jahre hinzog. „Wer den Koran verstehen will“, so Abu Zaid, „muß untersuchen, in welcher jeweiligen historischen Situation Mohammed welche Teile des Korans niedergeschrieben hat.“ Und was für Mohammed gilt, gilt natürlich erst recht für alle späteren Auslegungen des Korans. „Die Auslegung des Korans“, so Sorush, „unterliegt Konjunkturen, die historisch bedingt sind. Es gibt nur eine göttliche Offenbarung, aber unzählige Interpretationen. Diese Interpretationen können falsch sein.“

Vor allem Abdel Karim Sorush absolvierte bei der gesamten Tagung einen anhaltenden intellektuellen Drahtseilakt, um dem Regime im Iran keinen Vorwand zu liefern, gegen ihn vorzugehen. Immer wieder betonte er, er mache keine Aussage darüber, welche Interpretation des Korans richtig oder falsch sei. „Es spricht nichts dagegen, daß die offizielle Koran- Interpretation im Iran richtig ist, aber es handelt sich um eine Auslegung von vielen.“ Aus dieser Pluralität leitet Sorush seine Theorie der religiösen Demokratie ab, mit der er sich bei den herrschenden Kreisen der Mullah-Theokratie endgültig unbeliebt gemacht hat, nachdem er sich bereits 1985 als Mitglied aus dem Rat für Kulturrevolution verabschiedet hatte. Sein Auftritt im Mai dieses Jahres bei der „Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik“ trug ihm im Iran den Vorwurf ein, er habe die islamische Republik verraten und mit dem Feind kollaboriert.

So hätte das Berliner Symposium leicht zu einer dreitägigen Sympathiekundgebung für die beiden Dissidenten werden können, wären da nicht zwei Teilnehmer gewesen, die die anheimelnde Harmonie im Saal zerstörten. Abdelwahab el-Massiri, ebenfalls aus Kairo und wie Abu Zaid von Haus aus Literaturwissenschaftler, ging zwar nicht auf den methodischen Ansatz seiner beiden Kollegen ein, distanzierte sich aber von der dahinterstehenden geistesgeschichtlichen Tradition des Abendlandes. „Die westliche Moderne, das Projekt der Moderne gipfelt in Frankenstein und hat uns Hitler und Stalin beschert. Warum sollten die islamischen Länder dieser Moderne nacheifern?“ Er sei, so Massiri, in hohem Maße nervös, wenn er die Früchte der westlichen Moderne anschaue. Sie drohe die Welt ins Chaos zu stürzen. Auf die Brücke zwischen der islamischen und westlichen Kultur könne er mithin gut verzichten.

Ähnlich harsch, nur unter genau umgekehrtem Vorzeichen erteilte der Berliner Philosoph Friedrich Niewöhner den islamischen Reformdenkern eine Absage, wo es um deren Relevanz für den europäischen Philosophie-Diskurs geht. Was Leute wie Sorush, Abu Zaid und andere im Islam nun unternehmen, habe innerhalb der europäischen Aufklärung Spinoza bereits 1670 mit seiner Kritik der Theologie geleistet. „Zu diesem Zeitpunkt hat Spinoza die Herrschaft der Theologie über die Philosophie bestritten und Redefreiheit sowie die Trennung von Staat und Religion gefordert. Gut hundert Jahre später hat Kant festgestellt, daß man an Gott zwar glauben, aber über ihn keine wissenschaftlichen Aussagen machen kann, und seit Nietzsche 1895 festgestellt hat, daß Gott tot ist, braucht die Philosophie sich um die Religion nicht mehr zu kümmern. Das Thema ist lange durch.“ Die Frage aus der zweiten Sure des Korans, ob Gott wirklich auf seinem Thron sitzt oder hier nur ein Bild bemüht wird, interessiere in Europa niemanden mehr.

Niewöhner löste einen Sturm der Entrüstung aus. Er finde es „skandalös“, mit welcher Arroganz die islamischen Reformdenker ins 17. Jahrhundert verbannt würden, erregte sich sein deutscher Kollege Heiner Bielefeldt. „Das ist das Ende des Dialogs mit Vertretern einer anderen Kultur!“

Durchaus nicht, befand Niewöhner, aber der Dialog solle auf der Ebene stattfinden, auf die er gehöre: „Der Islam und die Moderne ist kein philosophisches, sondern ein politisches Problem.“ Tatsächlich stellte sich im Laufe der Veranstaltung immer wieder heraus, daß es nicht sinnvoll ist, die politische Dimension des west-östlichen Verhältnisses auszuklammern. Immer wieder schimmerte durch, daß die orthodoxe Koran- Interpretation keiner dem Islam immanenten Logik entspricht, sondern vielmehr eine Enttäuschung auf die gebrochenen Versprechen der Moderne ist. „Die Moderne hat den Menschen in Europa zwar auch ihr Weltbild genommen, ihnen dafür aber ein hohes Maß an materieller Kompensation und individueller Freiheit gebracht. Die muslimischen Gesellschaften bekommen dagegen nur noch die Symbole der Moderne und nicht den damit in Europa verbundenen sozialen und materiellen Fortschritt geboten“, beschrieb der Bonner Islamwissenschaftler Stefan Wild das Dilemma.

Wilds These wurde indirekt auch durch die historischen Vorträge über die geistesgeschichtliche Entwicklung der Islaminterpretation bestätigt. Die Begeisterung für die Moderne bekam in der islamischen Welt ihren ersten großen Dämpfer in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, als der Westen den islamischen Ländern statt Aufklärung koloniale Unterdrückung brachte. Die zweite tiefgreifende Enttäuschung kam dann mit den säkularen arabischen Regimes der Nachkolonialzeit, die sich wiederum auf westliche Werte beriefen, während das soziale Elend immer größer wurde.

„Der Islam“, stellte denn auch Abu Zaid nüchtern fest, „ist das Versprechen auf soziale Gerechtigkeit.“ Getrieben von der Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit und tief enttäuscht von den Versprechungen der westlichen Moderne werden nun wieder archaische Aspekte des Islam hervorgeholt. „Die Verschmelzung von Staat und Religion, die Religion als Zwangsgemeinschaft, aus der man nicht austreten kann, die Domestizierung der Wissenschaft durch das Primat der Religion, all das hat eigentlich mit dem Islam nichts zu tun, sondern entspricht dem Stillstand in den muslimischen Gesellschaften“, behauptete auch Burhan Ghalioun, ein Syrer, der in Paris an der Sorbonne lehrt.

Damit war die Veranstaltung eigentlich an ihrem spannendsten Punkt, der aber leider nicht konsequent diskutiert wurde. Ist die Frage nach Demokratie und Menschenrechten tatsächlich eine religiös-kulturelle, sind dem Islam Menschenrechte fremd, oder aber ist der bedauerliche Zustand der Menschenrechte in der islamischen Welt nicht vielmehr das Ergebnis der elenden sozialen Verhältnisse? Nahezu unter der Hand stellte sich dennoch eine Verständigung her, die schließlich eine Frau aus dem Publikum auch formulierte: „Wer dem Islam die Achtung der Menschenrechte als ihm wesensfremd abspricht, arbeitet nur den Fundamentalisten in die Hände.“ – „Die Fundamentalisten“, bekamen die interessierten Laien des Symposiums dann abschließend vom Beiruter Wissenschaftler as-Sayyid noch mit auf den Weg, „die Fundamentalisten sind durchaus nicht die Negation der Moderne, sondern nur eine andere Spielart.“ Man darf also weiter auf die östliche Moderne gespannt sein.

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