: "Paul Bowles ist ein Ausbeuter"
■ Der marokkanische Schriftsteller Mohamed Choukri beschuldigt den "Titan von Tanger", ihm die Rechte für drei seiner Bücher gestohlen zu haben - und die Einnahmen: "Kleine Vorschüsse habe ich bekommen, den R
In der „Librairie des Colonnes“, der berühmten Buchhandlung in Tanger, hängt ein Foto, das Sie zusammen mit Paul Bowles zeigt. Jeder schaut in eine andere Richtung, Sie haben die Augen geschlossen ...
Mohamed Choukri: Das haben Sie völlig richtig gesehen. Die Augen sind zu.
Man denkt sofort: Sie mögen Bowles nicht, können ihn absolut nicht ausstehen.
Nun, es ist wahr, im großen und ganzen mag ich ihn nicht. Gut, er hat manche Leute, die sich an der Kunst versuchen wollten, ermutigt, Maler, Schriftsteller, das darf man nicht vergessen. Aber zugleich hat er diese Leute bestohlen. Paul Bowles ist ein Ausbeuter.
Und Sie sind auch eines seiner Opfer?
Natürlich. Das fängt schon bei meinem ersten Buch an, „Das nackte Brot“. Bowles arbeitete mit einem anderen Dieb zusammen, dem englischen Verleger Peter Owen. Er hatte bereits ein Buch mit Geschichten von Bowles' „Entdeckung“ Mohamed Hrabet herausgebracht, und jetzt suchten die beiden ein anderes Opfer. Bowles hatte zuvor einige Novellen von mir übersetzt, er schlug vor, meine Autobiographie herauszubringen. Ich antwortete sofort, daß das Manuskript schon bei mir zu Hause liege, was nicht ganz wahr war, ich hatte es bloß in meinem Kopf. Wir haben dann einen provisorischen Vertrag abgeschlossen, er hat mir nach der Übersetzung 100 Pfund Sterling gegeben, das war alles, bis heute. Seither hat es mehrere Ausgaben von „Das nackte Brot“ gegeben, sogar als Taschenbuch ist es erschienen, und – was ich anfangs noch gar nicht begriffen habe – immer hat Bowles alles Geld dafür genommen. Dasselbe gilt für meine Bücher über Jean Genet und Tennessee Williams, die Bowles übersetzt hat. Kleine Vorschüsse habe ich bekommen, den ganzen Rest hat er eingesackt.
Sie haben all die Jahre keinen Dirham gesehen?
Genau so ist es, bis heute. Nie habe ich eine Abrechnung über die Verkäufe oder auch nur etwas Ähnliches gesehen.
Und das haben Sie sich gefallen lassen? Gab es keine Möglichkeiten, Ihr Recht einzuklagen?
Das ist nicht so einfach. Das Copyright wurde in den Vereinigten Staaten eingetragen. Ich hätte dort prozessieren müssen. Und ich hatte nie das Geld dazu, allein die Anwaltskosten wären teurer geworden als das, was von der Klage zu erwarten gewesen wäre. Außerdem: Wenn Sie hier in Marokko mit solch einer Sache zum Anwalt gehen, sagt der: Ach, das ist doch viel zu weit von uns hier weg! Aber zumindest in Deutschland stellt sich die Lage jetzt etwas anders dar, da habe ich meinen Agenten Roberto de Hollanda, und möglicherweise läßt sich für die deutschen Ausgaben meiner Bücher vor Gericht etwas bewirken.
Da ist aber noch nichts in die Wege geleitet?
Bislang nicht, ich habe nur gesagt: Hier wären die Aussichten am größten, wenn man es darauf anlegen würde.
Wann haben Sie Bowles das letzte Mal gesehen?
Das ist schon fast ein Jahr her. Ich mag ihn einfach nicht mehr sehen. Er ist ja auch mittlerweile sehr alt, und ich wollte nicht seinen Lebensabend stören. Schauen Sie: Was hätte er, nachdem er mir schon die Rechte nicht zurückgab, rausgerückt? 1.000, 2.000 Dollar? Es ist ja nicht so, daß ich verhungere. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit den Einkünften aus meinen späteren Arbeiten, Artikel, ein paar Sachen fürs Radio, eine kleine Pension – für Luxus bleibt da natürlich wenig.
Bowles weiß aber von den Anschuldigungen, die Sie gegen ihn erheben?
Natürlich, das weiß er alles ganz genau. Verachtet habe ich ihn aber erst, als er mir über meinen Agenten ausrichten ließ: Warum soll ich ihm das Copyright zurückgeben, wieso soll ich Choukri Geld geben, wo er ja doch bloß alles versäuft und faul in der Sonne rumliegt? Das nehme ich ihm wirklich übel. Der Mann ist ein Vampir, und leider gibt's solche Vampire überall.
Nun arbeiten Sie ja an einem Buch über Bowles. Was wird das?
Zuerst hatte ich den Arbeitstitel „Paul Bowles in Tanger“, so wie ja auch frühere Bücher von mir „Jean Genet in Tanger“ oder „Tennessee Williams in Tanger“ hießen. Ein Freund aus Rabat riet mir davon ab: Tanger habe Paul Bowles berühmt gemacht, nicht umgekehrt. So heißt das Buch nun „Tanger, Paul Bowles und das Echo der Stimmen“, und es ist keine Biographie, sondern eine Art Panorama der Leute, die nach Tanger gekommen sind. Viele Stimmen kommen in dem Buch zu Wort, seine Freunde, meine Freunde, gemeinsame Freunde, und keineswegs läuft alles auf den großen Boß Bowles hinaus – es gibt Wichtigere als ihn. Zum Beispiel Jane Bowles, seine Frau, die ich leider nicht gekannt habe. Aber ich habe ihre Bücher gelesen, und ich habe gehört, was die Leute in den Cafés und Bars über sie geredet haben. Von ihrem Chauffeur, auch von Mohamed Mrabet, ist mir nur Gutes zu Ohren gekommen.
Sie wollen den Guru Bowles auf Normalmaß stutzen?
Jedenfalls wird mein Buch den ewigen Bowles-Bewunderern nicht entgegenkommen. Aber auf die pfeife ich sowieso. Seit ich ganz früh mit dem Symbolismus der arabischen Literatur gebrochen habe und in meinen Büchern über Liebe, Armut, Prostitution, Homosexualität geschrieben habe, habe ich mir viel mehr Feinde als Freunde gemacht. Zwei meiner Bücher, „Das nackte Brot“ und „Zeit der Fehler“, sind in Marokko immer noch offiziell verboten. Wir haben hier zwar keine Verhältnisse wie in Algerien, vieles hat sich verändert in den letzten Jahren, aber eine Literatur wie meine ist in ganz Marokko nur in Tanger denkbar, nicht in Fez, Marrakesch, Larache oder Casablanca.
Tanger ist in Ihren Büchern immer noch eine Art Asyl für Träumer, Diebe und Außenseiter.
So ist es. Nur hier kann man kosmopolitisch sein, überall sonst muß man sich assimilieren. Sehen Sie, jeder Schriftsteller hat seine Stadt. Alberto Moravia wäre nicht denkbar ohne Rom, bei Italo Svevo ist es Triest, bei Kerouac Kalifornien. In Tanger sind viele durchgekommen, meistens ging es darum, billig zu leben, genug Sonne zu haben und in Ruhe ein Werk hier zu vollenden, letzte Korrekturen anzubringen wie Burroughs bei „Naked Lunch“. Kaum einer der großen Schriftsteller hat über Tanger geschrieben: Tennessee Williams, Beckett, Genet – nichts. Truman Capote – einige sehr schwache Seiten. Paul Bowles schon, aber er analysiert die Gesellschaft nicht, geht mehr ins Überzeitliche. Außerdem ist er ein Nihilist, seine Personen müssen immer in der Katastrophe enden. Für mich dagegen kommt es mehr auf Alltäglichkeiten an, ich plane nicht so sehr, sondern begreife meine Bücher als eine Art Zeugnis – der Zeit und der Verhältnisse. Es beginnt immer auf der Straße. Die Straße, nicht Karl Marx, hat mich die Philosophie gelehrt.
Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, Ihre Bücher über Schriftsteller in Tanger wären auch eine Art sehr sublimer Rache – wenn Sie sich als armen Jungen unter all diesen zahlungskräftigen Berühmtheiten beschreiben.
Nein, ganz und gar nicht. Oder höchstens, wenn Sie Rache als eine sehr noble, im Innersten nicht böse gemeinte Angelegenheit verstehen. Sie sollten außerdem nicht glauben, daß ich immerzu zwanghaft auf Leute schaue, die Geld haben. Das würde mich krank machen. Manche haben Pyramiden von Geld im Kopf, sollen sie, meine Pyramiden sind die Bücher, die ich gelesen habe. Man muß sich immer für das eine oder das andere entscheiden, und ich bereue nichts.
Wann erscheint Ihr Bowles- Buch?
Nun, ich arbeite konzentriert daran, Tag und Nacht, mache meine Recherchen, spreche mit Leuten, lese Zeitungsartikel und bin bei der Sache. Aber man kann es natürlich nicht erzwingen, und ich denke auch nicht über dieses Buch hinaus. Ich habe nun mal keinen Vertrag mit der Literatur. Interview: Thomas Groß
und Volker Hornung
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