: Algerien wählt in Frankreich
■ Unerwartet viele algerische Immigranten beteiligten sich in ihren Konsulaten an den Wahlen ihres Heimatlandes
Paris (taz) – Mit einem unerwartet starken Ansturm auf die Wahlurnen begann am Wochenende in Frankreich die algerische Präsidentschaftswahl. Trotz des Boykottaufrufs von Islamisten und anderen oppositionellen Kräften bildeten sich vor den Wahllokalen in den konsularischen Einrichtungen Dutzende Meter lange Schlangen, es kam zu tumultartigen Szenen. Französische Polizisten und Feuerwehrleute machten Sondereinsätze bei den Wartenden.
In den Tagen vor der Wahl hatten sich in algerischen Immigrantenkreisen die Gerüchte über angebliche Schikanen bei einem Wahlboykott vermehrt. Wer nicht wähle, hieß es unter anderem, müsse damit rechnen, die notwendigen Papiere für die nächste Heimreise nicht zu bekommen. Aber nicht nur aus Angst unternahmen viele Algerier die oft weite Reise bis zum nächsten Konsulat – stark war auch der Wunsch nach einer demokratisch legitimierten Regierung und nach einem Ende der Gewalt in ihrem Heimatland.
Frankreich ist mit seinen 650.000 registrierten wahlberechtigten Algeriern für den Ausgang der Wahlen, die in Algerien am kommenden Donnerstag stattfinden, besonders wichtig. Ursprünglich wollten die algerischen Behörden ihre 22 Wahllokale in Frankreich an sechs Tagen öffenen. Mit Hinweis auf die gefährdete öffentliche Sicherheit hatte Paris jedoch nur drei Tage bewilligt: das vergangene Wochenende und den kommenden Donnerstag. Angesichts des Wähleransturms, der sowohl in Algier als auch im Pariser Innenministerium überraschte, erwogen die beiden Länder gestern, die Wahllokale eventuell auch am Mittwoch zu öffnen. Die vier Kandidaten für das Präsidentenamt, darunter drei Generäle, durften in Frankreich aus Sicherheitsgründen keine Wahlkampfveranstaltungen machen. Anstelle von Kundgebungen mußten ihre Unterstützer sich auf das Verteilen von Flugblättern und auf Radioauftritte beschränken.
Mit Ausnahme des Sprechers des gegenwärtigen Präsidenten, General Liamin Zeroual, der aussichtsreichster Kandidat bei den Wahlen ist, kritisierten die Vertreter der Kandidaten dieses Verbot. Nirgendwo im Ausland lebten mehr Algerier als in Frankreich, erklärten sie, und dies seien die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen in der Geschichte Algeriens. Das Verbot sei eine indirekte Werbung für die Islamisten, die ihrerseits zum Boykott aufriefen. Die Höhe der Wahlbeteiligung gilt in Algerien als entscheidende Frage. Denn die stärksten Parteien des Landes, die bei den abgebrochenen Parlamentswahlen vor drei Jahren, die Mehrheit der Stimmen bekommen hätten, boykottieren die gegenwärtigen Präsidentschaftswahlen. „Islamische Heilsfront“ (FIS), „Front der sozialistischen Kräfte“ (FFS) und die „Front der nationalen Befreiung“ (FLN) nennen den Urnengang ein Manöver des Militärregimes, um sich ein demokratisches Image zu verschaffen.
Beobachter aller Seiten zeigten sich von der Wahlbeteiligung am Wochenende in Frankreich überrascht. Die Sprecherin des Präsidentschaftskandidaten Said Sadi, Kahlida Messaouidi, wertete sie als „eklatantes Scheitern der Unterzeichner von Rom“ – der FIS, FFS und FLN, die eine Dialoglösung aus dem algerischen Konflikt suchen wollten.
Der Chef der FFS, Ait Ahmed, bewertete die hohe Wahlbeteiligung hingegen anders. Sie zeige, erklärte der Oppositionspolitiker, daß FFS, FLN und FIS ihre Position wegen der Verbote durch die französischen Behörden nicht hätten erklären können. Dorothea Hahn
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