: Kein Anschluß an die Fernsehwelt
■ Homo-Fernsehen, das nicht stört: Im Hamburger Offenen Kanal sendet jetzt das Schwulenmagazin "verQueer"
Geladen wurde zur Premierenfeier: wie es sich gehört mit limitierten Eintrittskarten und entsprechender Flüsterpropaganda in der Hamburger Homoszene. Versprochen war die erste Live-Übertragung von „verQueer“, einem TV-Schwulenmagazin im Offenen Kanal Hamburgs, in die Räume der „Wunderbar“, eines In-Homolokals am Rande der Reeperbahn. Bedauerlicherweise verfügt das Etablissement jedoch über keinen Kabelanschluß. Ohnehin trudelten weit nach Sendestart um 21.30 Uhr noch viele Gäste ein, die unbedingt dabeisein wollten. Welch glückliche Fügung, daß zumindest eine Videokonserve des halbstündigen Magazins und sogar noch der passende Rekorder verfügbar waren.
Was dann also – nicht allzu live – zu sehen war (und heute um 21.30 Uhr im Offenen Kanal Hamburg wiederholt wird), ist mit „Fernsehen familiär“ betitelt. Die Macher des Magazins sehen sich nämlich ausdrücklich darauf verpflichtet, für Toleranz und Aufklärung zu werben, und legten mit „VerQueer“ also eine Mischung aus guten bis gutgemeinten Beiträgen aus der „zeitlosen“ (Nick Feustel von „verQueer“ e.V.) Welt der Homosexuellen vor.
Missionseifer und Betschwestern
Man zeigte eine Geschichte über zwei Herren, die sich als Nonnen verkleidet durch die Parks und Kneipen Norddeutschlands tingeln, um in der Homogemeinde den Segen der Safer-Sex-Aufklärung zu preisen; schließlich einen Beitrag über die umstrittene Therapieform „Reiki“, der unter das Rubrum „alternative HIV-Heilmethoden“ gepackt wird, und last, but not least einen Film über die Initiative eines Hanseaten, der auf dem Ohlsdorfer Friedhof eine Grabstelle für an Aids Verstorbene errichten ließ.
Aktuelles bringt „verQueer“ nicht, das ist auch so beabsichtigt. „Wir sind nicht so schnell“, sagt der 23jährige Nick Feustel, noch immatrikulierter Student der Anglistik, der sich von seiner Mühe um „verQueer“ bessere Berufschancen in den Hetero-Medien verspricht: „Ich will ja nicht das ganze Leben schwules Fernsehen machen.“ Doch daß beispielsweise im Norden der Metropole ein ganzer Stadtteil versucht, den Plan, dort einen Alterswohnsitz für Graue Homopanther aufzubauen, mit Infamie und direkten Drohungen zu hintertreiben, nimmt die Magazingruppe, hinter der nach eigenem Bekunden kein Medienmulti steckt, „dafür um so mehr Engagement“, nur „zur Kenntnis“: „Wir wollen lieber im Ganzen aufklären“, so Feustel.
Auch in toto funktionierte die Sendeform nur behäbig: Obwohl die Gruppe seit Anfang des Jahres arbeitet, war es nicht möglich, zum Beitrag über Reiki die Kritik eines Schulmediziners einzuholen. Der aufklärerische Wert der fliegenden Betschwestern blieb ebenso offen: Mehr als ein szenetypisches „Huch!“, das immer angestimmt wird, wenn ein Herr im Frauenkleid zu sehen ist, hat der Beitrag nicht provoziert. Und das sollen Heteros interessant finden, das soll die homosexuelle Seele aufmuntern? „Wir sind ja erst am Anfang“, beteuert Feustel.
Einzelne TV-Schaffende, die zur Premiere geladen waren, lobten immerhin die richtigen und zudem auf die Sekunde genau eingeblendeten Inserts, die Moderatoren allerdings scheinen von der Lockerheit eines Matthias Frings oder eines Alfred Biolek noch so weit entfernt wie der Offene Kanal vom Ziel, ebenso beachtet zu werden wie die großen Kanäle.
Fernsehen für Schwule: „verQueer“ ist dabei nur eine neuerliche Probe auf etwas, daß bei den öffentlich-rechtlichen Medien undenkbar ist und bei den privaten nur im Zusammenhang mit Sex allgemein. „Niemand will der erste sein“, sagen die Leute von „verQueer“. In den USA und Großbritannien gehören schwule Magazine so selbstverständlich zur TV- Landschaft wie hierzulande erst seit kurzem Frauensendungen à la „Mona Lisa“. In der Bundesrepulik gab es Anläufe in Berlin oder Experimente wie „Diva TV“ auf dem Offenen Kanal Dortmunds.
Austiegschancen im Hetero-Fernsehen
Konzepte gibt es zuhauf. Unter dem Arbeitstitel „Andersrum“ wird in Bioleks Kölner „Pro GmbH“ an einem Magazin gearbeitet: Doch auch die privaten TV- Stationen haben abgewinkt. Allzu unsicher sind die Quotenaussichten, allzu dubios, wie ein Verantwortlicher bei Pro 7 sagt, seien die Konzepte: „Solch ein schwules Magazin dürfte sich in der Qualität nicht von ,Liebe Sünde‘ abheben – nach unten, versteht sich. Und davor hätte ich schon Angst.“
„verQueer“ hätte unter heutigen Marktbedingungen wohl keine Chance, im Konzert der Publikumsreißer aufzufallen. Aber allzu ernst nehmen die „verQueer“- Leute ihre Sendung, so scheint es, ohnehin nicht. „Unser großes Ziel ist, ,verQueer‘ verkaufen zu können“, sagt Nick Feustel. Er gibt zu, daß der ehrenamtliche Eifer seiner Mitstreiter aber zumindest sich daraus speist, irgendwann genug Arbeitsproben gesammelt zu haben, um an den Futtertrögen der Branche reüssieren zu können.
Der Zuspruch war nach der Sendung groß. Allen wohl und niemand weh: Das Rezept ging in der „Wunderbar“ auf. Fernsehen, das nicht stört. Doch Feustel & Co. haben Grund zum Weitermachen: „Wa(h)re Liebe“ (Moderation: Lilo Wanders), das Vox-Pendant zu „Liebe Sünde“ auf Pro 7, hat den Rohschnitt zum Beitrag über die Nonnen gekauft. Jan Feddersen
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