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Sabbelei

■ Wim Wenders ist mit Michelangelo Antonioni Jenseits der Wolken

Eine ungeschriebene Grundregel der Polemik besagt, daß es nicht zulässig sei, auf Leichen herumzutrampeln. Genauer gesagt, auf Zeitgenossen, die intellektuell längst nicht mehr satisfaktionsfähig sind, also zum Beispiel Rudolf Scharping, Bärbel Bohley und Berti Vogts. Paßt nicht auch Wim Wenders in diese Reihe? Gewiß. Doch wenn er mitarbeitet an einem Film von Michelangelo Antonioni, darf man auch über Wenders wieder etwas sagen. Denn egal für wie viele belanglose, gern als „malerisch“ gelobte Filme der Italiener verantwortlich ist, er hat 1966 das brillante psychedelische Zeitdokument Blow Up gedreht. Und gegenüber dem Künstler Mark Rothko hat er einmal den Satz gesagt: „Your paintings are like my films – they are about nothing ... with precision.“

In seinem neuen Werk Jenseits der Wolken geht es auch um nichts, aber präzise ist es mitnichten. Der Film basiert auf vier Erzählungen über zufällige Begegnungen zwischen Männern und Frauen, die Antonioni 1983 in dem Buch Bowling am Tiber veröffentlichte. Da der 83jährige, der seit mehr als zehn Jahren unter den Folgen eines Schlaganfalls leidet, eine Rahmenhandlung benötigte, ließ er den Kontakt zu Wenders herstellen. Der sagte zu, um dann im Buch über die Entstehung des Films in einer kaum zu übertreffenden Mischung aus Servilität und Überheblichkeit anzumerken, er habe „natürlich akzeptiert“, daß „meine Rahmenerzählungen immer nur Überleitungen bilden würden, auch wenn ich selbst eine größere Verquickung der verschiedenen Ebenen des Films für interessanter hielt“.

Jenseits der Wolken dauert 113 Minuten, aber leider muß man bis ungefähr zur 80. warten, ehe eine Person auftaucht, die offensichtlich keine Grütze im Kopf hat. Es ist eine Nebenfigur, eine Frau, die im Sessel eines Hotelfoyers sitzt und ein Buch von Doris Lessing liest. Doris Lessing, immerhin! Ansonsten stellen hier neurotische Menschen, die man nicht mal seinem schlimmsten Feind an den Hals wünscht, zivilisationskritische Fragen: „Ist dir aufgefallen, daß sich heute keiner mehr Sonnenuntergänge ansieht?“ Oder ein neurotisches Weiblein sagt, es wolle „keiner mehr reden“, woraufhin ein neurotisches Männlein ergänzt: „Weil jetzt die Augen modern sind, weil die Dialoge im Innern stattfinden.“

Was gegen Neurosen zu sagen ist? Grundsätzlich nichts. Jeder sollte Zeit haben, seine zu pflegen. Es spricht allerdings viel gegen einen Film, in dem nur Menschen herumschleichen, die außer ihren Neurosen nichts vorzuweisen haben. Daß hier viele Dialoge „im Innern stattfinden“, mithin wenig gesabbelt wird – ein schwacher Trost, denn es fallen immer noch zu viele Worte. Und die banalsten fallen, natürlich, zwischen den Episoden – in den unerträglich sanft gesprochenen Monologen von Wenders. René Martens

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