piwik no script img

Für Touristen gibt's besonders Grausiges en gros

■ In den fünfziger Jahren begann die katholische Missionsarbeit mit den Asmat in Papua-Neuguinea. Das Völkerkundemuseum zeigt, wie sich deren Kultur verändert hat – vom Ritual zum Kunsthandwerk

Die Expressionisten wären vor Neid erblaßt. In den Ahnenpfählen der Asmat bäumt sich das Leben auf. Bis zu acht Meter hoch türmen sich weiß und rot bemalte Ahnen, einer auf dem Kopf des anderen. Selten sitzen Ahnfrauen dazwischen, teils klettern Kinder an den Alten hoch; Schweine, Krokodile und Nashornvögel, Jagdbeute der Asmat und Verkörperung unruhiger Totenseelen, begleiten sie. An der Spitze zipfeln die vielgliedrigen Skulpturen in einen filigranen Flügel aus, gehauen aus einer Brettwurzel des umgedrehten Mangrovenbaumes.

Asmat bedeutet „Volk des Baumes“. Weil die Asmat in oft schwer zugänglichen Sumpfgebieten westlich von Papua-Neuguinea leben, hat der Umbruch vom steinzeitlichen Überlebenskampf zur Moderne in ihrer Kultur erst vor wenigen Jahrzehnten begonnen. Noch greifen Mythen und die rituelle Bewältigung ihres Alltags als Jäger, Fischer und Sammler dicht ineinander. Ihrer in die Gegenwart ragenden Archaik gilt eine Ausstellung des Völkerkundemuseums.

Im Mittelpunkt stehen die Ahnenpfähle, Medium der Begegnung und des Ausgleichs zwischen den rachedurstigen Geistern der Verstorbenen und der Welt der Lebenden. Ihrer Kommunikation dienen Feste und Rituale, die über große Zeiträume hinweg den Alltag gliedern und die soziale Ordnung strukturieren. Als Schutzgeister sind die Ahnen in den ornamental stilisierten Gesichtern auf den mannshohen Schilden präsent; sie werden im skulpturalen Schmuck der Boote, dem einzigen Verkehrsmittel, und der Trommeln beschworen.

Die Schläge einer Trommel erweckten in der Schöpfungsgeschichte der Asmat aus Bäumen geschnitzte Männer und Frauen zum Leben. Die Künstler sehen sich in der Nachfolge des Urahnen Fumeriptis. Bis sich in den fünfziger Jahren katholische Missionsstationen um die Asmat zu kümmern begannen, war die Tradierung ihrer Mythen kaum fremden Einflüssen ausgesetzt. Von der westlichen Zivilisation begehrten sie nur Fundstücke aus Eisen, um ihre Werkzeuge aus Holz, Knochen und Muscheln zu ergänzen.

Doch wen angesichts der dichten Verwobenheit von Denken, Fühlen und Ausdruck der Asmat die Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit steinzeitlichen Lebens packt, gerät spätestens vor der Vitrine mit den präparierten Trophäen der Kopfjagd ins Grübeln. Denn in der Seinsordnung ihrer Vorstellungswelt gehörte das Töten zur Voraussetzung des Lebens.

Verblüffend für eine museale Präsentation: Fast keines der Objekte ist datiert. Als wären die Asmat ein Volk ohne Geschichte, stehen erst vor wenigen Jahren geschaffene Skulpturen für Jahrhunderte. Nur wenige Artefakte der Asmat werden alt, wie die von Ruß und Schweiß imprägnierten Trommeln. Die Ahnenpfähle dagegen überlassen die Asmat der Verrottung in den Sümpfen, wenn die Seelen der Toten, durch Rituale befriedigt, auf die Reise zu den Ahnen geschickt werden. Das Holz, in dem sie sich kurzzeitig verkörperten, kehrt in den Kreislauf der Natur zurück. Der Verbrauch, nicht der Erhalt ihrer Kunst ließ ihre Kultur lebendig bleiben.

Doch die Asmat leben heute an der Schwelle einer Zeitenwende. Ein Ergebnis der katholischen Missionierung und der indonesischen Verwaltung seit 1963 ist nicht nur der Ersatz der Kopfjagd durch symbolische Kämpfe. Für fast ein Jahrzehnt waren kultische Aktivitäten untersagt, und die Männerhäuser, Zentren des sozialen und spirituellen Lebens, wurden zerstört. Selbst das Schnitzen, Quelle der Identifikation, wurde verboten. Aber dieser Vernichtung einer Kultur gegenüber entwickelte die katholische Kirche ein Konzept, um traditionelle Kulturelemente in eine sich verändernde Lebensweise hinüberzuretten.

Ein Weg der Umfunktionierung des traditionellen Wissens ist das Kunsthandwerk, das zugleich eine neue ökonomische Perspektive schafft. Asmat-Künstler produzieren heute – und nicht schlecht – für den Markt der Ethnographica: In diesen Skulpturen erzählen sie nicht mehr von den Ahnen, sondern von ihrem Alltag. Die kultisch verankerte Kunst taucht dort nur in verkleinertem Maßstab, manchmal fast als ironisches Zitat auf. So schildert Sebastianus Otep Demcen für den besonders blutrünstigen Touristen eine grausige Szene, in der die Jäger breitbeinig über ihrem Opfer hocken und ihm den Kopf absäbeln. Katrin Bettina Müller

„Asmat. Mythos und Kunst im Leben mit den Ahnen“, bis 31.3., Di.–Fr. 9–17 Uhr, Sa./So. 10–17 Uhr, Museum für Völkerkunde, Lansstraße 8, Dahlem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen