: Mimi und die Pasok-Thronfolge
Die Diskussion um die Nacktfotos der griechischen First Lady ist eine Stellvertreterdebatte über den Regierungschef selbst. Über seine Nachfolge nämlich darf nicht geredet werden ■ Von Niels Kadritzke
Berlin (taz) – Die Einschaltquoten sagen fast alles. Knapp eineinhalb Millionen griechische Fernseher waren letzte Woche auf das Interview mit Dimitra („Mimi“) Papandreou eingestellt. Die Parlamentsdebatte über das Makedonien-Problem, die große „nationale Frage“ der letzten drei Jahre, hatte nur 200.000 Zuschauer. Griechenland kennt seit Wochen keine wichtigere Frage: Geht die ehemalige Stewardess Dimitra Liani, seit 1990 Gattin des Vorsitzenden der populistischen Pasok und Ministerpräsidenten Andreas Papandreou, in die Politik und wann?
Nur vor diesem Hintergrund konnten neu veröffentlichte alte Fotos einer nackten Mimi das griechische Publikum erregen: Sie trafen den empfindlichsten Punkt der Regierungspartei. Mit der Schlagzeile der Zeitung Avriani: „Jagt Mimi weg!“, sind in Wirklichkeit zwei andere Fragen angesprochen: Ist Andreas Papandreou noch den Anforderungen seines Amtes gewachsen? Und wenn er es nicht mehr wäre: Wer würde an seine Stelle treten?
Der Ministerpräsident ist ein alter kranker Mann. Ganz Griechenland weiß, daß er allenfalls drei Stunden täglich belastbar ist. Ein Kleinbetrieb, dessen Situation so kritisch ist wie die der griechischen Regierung, hätte ihren Chef schon längst in den verdienten Ruhestand geschickt. Papandreou aber hat schon deshalb eine unkündbare Stellung, weil er in seiner Partei- und Regierungsumgebung das kritische Potential immer wieder hinausgesäubert hat.
So lähmt heute seine reduzierte Arbeitsfähigkeit die ganze Regierung. Kabinettssitzungen finden nur noch alle paar Monate statt, wichtige Entscheidungen kommen verspätet oder gar nicht auf die Tagesordnung. Wenn ein Parteigremium tagt, wird die Diskussionszeit auf die paar Stunden begrenzt, die dem Parteichef von seinem Arzt – der praktischerweise als Gesundheitsminister im Kabinett sitzt – noch gestattet werden. Selbst die Parlamentsfraktion der Pasok kann nicht regelmäßig tagen, weil ihr Vorsitzender, eine antiparlamentarische Kuriosität, niemand anders als der Regierungschef ist.
Dieser Zustand ist allen Wählern bekannt. Er untergräbt die Glaubwürdigkeit der Regierung und hilft der konservativen Opposition der Nea Dimokratia, die bei Neuwahlen heute schon wieder vorne liegen würde. Über den Ernst der Lage diskutieren alle, nur nicht die Betroffenen: In der Pasok, die durch den Tod ihrer historischen Leitfigur in eine Existenzkrise gestoßen würde, gilt es als Todsünde, über die Zeit nach Papandreou oder auch nur über Zeitpunkt und Verfahren einer Nachfolge zu reden. Wer es dennoch tut, wie Ex-Außenminister Theodoros Pangalos, ist als Kandidat um die Papandreou-Nachfolge automatisch aus dem Rennen.
Das Tabu bewirkt aber nur, daß das Unaussprechliche sich auf Umwegen artikuliert. Die aktuelle und zukünftige Rolle von Mimi Papandreou ist die einzige Möglichkeit, die Unzufriedenheit wenigstens indirekt anzusprechen. Insofern hat der Pasok-Chef ganz recht, wenn er den Angriffen auf Mimi unterstellt, daß sie eigentlich ihn treffen sollen. Diese Angriffe zielen zum einen auf die Doppelrolle als Ehefrau und Leiterin des persönlichen Büros des Regierungschefs. In der zweiten Funktion verwaltet Mimi den Besucherkalender ihres Gatten. Eine Audienz in der Villa im Athener Vorort Ekali, aus der sich Papandreou kaum noch herausbegibt, ist ein knappes Gut. Am Nadelöhr sitzt Mimi und fädelt die Termine ein – eine Machtposition. Zu Recht also fragt sich die griechische Öffentlichkeit, was sich im „Hofstaat“ von Ekali tut. Und wenn in Mimis engeren Kreisen Wahrsager, private Beichtväter und alte Freunde als Sonderberater eine Rolle spielen, sind damit Rasputin-Phantasien Tür und Tor geöffnet.
Noch beängstigender ist für die Pasok eine andere Perspektive. Seit Sommer dieses Jahres hat Mimi das Volk wissen lassen, daß sie in die Politik gehen will. Daß ihr Mann sie dabei unterstützen würde, steht außer Zweifel. Seine Autorität allein könnte dafür sorgen, daß sie einen sicheren Platz auf der nationalen Kandidatenliste erhält, der ihr den direkten und wohl aussichtslosen Kampf um einen Wahlkreis ersparen könnte. Das Parteivolk zittert vor dem Gedanken, aber noch hält es still. Doch die „sozialdemokratische“ Fraktion innerhalb der Pasok, die sich gegen den überholten Populismus der Papandreou-Führung formiert hat, wird früher oder später Farbe bekennen müssen.
Sollte Papandreou seinen letzten Willen im Falle Mimi durchsetzen, stünde die Partei vor einer fatalen Alternative. Es könnte der Beginn einer Spaltung sein, die manche ohnehin für unvermeidbar halten. Oder der Beginn eines politischen Abstiegs, der die Pasok auf SPD-Niveau herunterbringen könnte. Einer Partei ohne Papandreou, aber mit seiner Witwe in der Rolle der politischen Erbschleicherin, würden wohl nicht viel mehr als 20 Prozent der Wähler ihr Vertrauen schenken.
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