: Zivilisierte Tropen
■ Schillernd: Angela Guerreiros „Plant Hunters“ auf Kampnagel
Ganz von Ferne leuchtet Blau. Es schimmert durch die Löcher an der Bühnenrückwand und verleiht dem orangenen, mit Pflanzenteilen bemalten Raum eine Aura von geheimnisvoller, tropischer Fülle: Befinden wir uns im dunklen Urwald? Oder in einer Unterwasserlandschaft? Liegt dahinter das Meer – oder der Himmel?
In diesem rätselhaften Ambiente von Dirk Thiele spielen eine Tänzerin und ihr Musiker seit Mittwoch auf Kampnagel schillernde Versatzstücke zum Titel-Thema Plant Hunters. Es geht um die Pflanzenjäger des 18. Jahrhunderts, die auf Sklavenschiffen mitsegelten, um im Urwald unerforschte Spezies der Flora zu entdecken. Der Deutsche Hendrik Lorentzen musiziert und deklamiert zurückhaltend-steif im Tropenanzug, während die Portugiesin Angela Guerreiro immer neue Möglichkeiten erkundet, Körper und Stimme zu bewegen. Sie schnalzt mit der Zunge und führt dazu in Impulse zerlegte Bewegungen aus – der Tanz muß sich nach der Uhr der Sprache richten. Die geht bald in eine Erzählung über, die jedoch am spannendsten Punkt zurückfällt in den bloßen Zungenschlag: Die Zuschauer sind der Bedeutung entlassen, das Rätselhafte entschleiert sich nur für Minuten.
Der Körper des Westens – er ist überfrachtet mit Ansprüchen und Vorbildern. In rhythmischen Einheiten zur E-Gitarre lupft sich Angela Guerreiro die Nase, verbiegt ihr Gesicht mit den Händen zu Grimassen und spricht dabei über Sommersprossen, die nicht weggehen – oder die Pflicht der Frau, ihre Augenbrauen nachzudunkeln. Sich zur jazzigen Musik wiegend, streicht sie sich silbrig glänzende Masse auf die Beine, um sie zu enthaaren. Mal säuselt ihre Stimme flüsternd-erotisch, mal kläfft sie wie ein Hund, dann reißt sie sich die klebende Creme mit piepsenden Schmerzensschreien von der Pelle. Ihre Komik ist präzise und wirksam ausgearbeitet, ihre Bewegungssprache zeugt von einem eigenen Universum.
Hendrik Lorentzen unterlegt diese Mosaike mit einer Livemusik aus Saxophon-Schreien und Sampler-Fetzen. Oft trifft er den atmosphärischen Ton, doch in seiner ursprünglichen Werkstatt-Fassung, die im Mai während des Junge Hunde-Festivals gezeigt worden war, war das Stück anregender. Während sich im Tanz kaum etwas verändert hat, erklingt die Musik jetzt noch überbordender. Lorentzen übertreibt an vielen Stellen mit den technischen Möglichkeiten, und manche Szenen berühren nicht, weil die Musikschnipsel alle fünf Sekunden die Gemütslage verändern – und das Theater überschatten. Gabriele Wittmann
Noch 17.-19./21./22./24.-26. November K1, 19.30 Uhr
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