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Sondermüllverbrennung im Luftkurort

In Bernau soll als Erbe einer DDR-Giftschleuder Deutschlands erste kommerzielle Pyrolyseanlage für Elektronikschrott entstehen. Betreiber sieht „keine Belästigung der Umgebung“  ■ Von Bernhard Pötter

Die Kanzlergattin war beeindruckt. Bei einem Besuch auf der Baustelle in Bernau-Friedenstal ließ sich Hannelore Kohl im September das bundesweit größte freifinanzierte Wohngebiet zeigen. Für eine Milliarde Mark entstehen hier nördlich von Berlin 2.200 Wohnungen im „gehobenen Standard“: Doppelhäuser, Stadtvillen und Stadthäuser für die Gutbetuchten, die im Grünen wohnen und den S-Bahn-Anschluß nach Berlin vor der Tür haben wollen.

Doch die Häuslebauer sollten sich überlegen, ob sie in ihrem neuen Heim noch ein paar Mark für einen guten Luftfilter drauflegen. Denn wenn die Planungen einer Berliner Recyclingfirma Wirklichkeit werden, kann es in Bernau dicke Luft geben: Zwischen den schnieken Stadtvillen und der „Brandenburg-Klinik“ am anderen Ende der Stadt soll Deutschlands erste kommerzielle Müllverbrennungsanlage für Elektronikschrott entstehen.

Der Ort der geplanten „Reststoffverwertungsanlage Bernau“ (RVA) ist den Bernauern in schlechter Erinnerung. Im Industriegebiet, keine zwei Kilometer von der Stadtmitte, arbeitete 30 Jahre lang der VEB „Schichtpreßstoffwerk Bernau“ (SPW). Wo einst die Schornsteine giftig qualmten, stehen heute nur noch ein paar Plattenbauten und Industrieruinen. Auf der anderen Seite der Straße liegen eine Schule und ein Wohngebiet. „Es stinkt mal wieder“, sagen die Bewohner. „Meistens abends und so scharf und rauchig wie früher. Aber schreiben Sie bloß meinen Namen nicht.“

Die Anwohner haben Grund zum Mißtrauen. Denn seit 1961 vergiftete das Schichtpreßstoffwerk die Menschen in der Umgebung. Das Werk produzierte Leiterplatten, Grundelemente für das elektronische Innenleben der Computer made in GDR. Die Abgase aus der Produktion, darunter Formaldehyd, die stinkenden Phenole und die Supergifte Furan und Dioxin entwichen nahezu ungefiltert in die Luft. Produktionsabfälle wurden unter freiem Himmel verbrannt, der Rest landete auf einer eigenen Müllkippe, dem „Ogadeberg“ hinter dem Werk. Bernau war selbst nach offiziellen DDR- Statistiken ökologisches Katastrophengebiet: Bei Luftschadstoffen rangierte es auf der gleichen Stufe wie Bitterfeld. Die Anwohner berichten von erhöhter Säuglingssterblichkeit, von Kleinwuchs der Kinder und von Böden, die so stark verseucht sind, daß in der Umgebung des ehemaligen SPW keine neuen Baugenehmigungen für Eigenheime erteilt würden.

Nach der Wende kam für das SPW das Aus. 1991 übernahm die Firma Hüls-Troisdorf den Betrieb, ließ die Pyrolyseanlage weiterlaufen und stellte den Betrieb zum Jahresende 1994 ein. Übernehmen will das Gelände nun die „Tonwerke Werbellinsee GmbH“, für die Jürgen Tilsen, der auch in Berlin eine Entsorgungsfirma betreibt, alle Verdächtigungen der Bewohner weit von sich weist: „Die Anlage steht seit fast einem Jahr still. Wenn hier was stinkt, dann sind es Schweineställe.“

Pech für die Bernauer, die mit den Altlasten leben müssen, ist besonders eine Neulast: Auf dem Gelände steht eine nagelneue Abfallverbrennungsanlage nach bundesdeutschen Normen. Im September 1988 wurde sie von der Westberliner Firma „Berlin-Consult“ fertiggestellt, um das Entsorgungsproblem des SPW auf umweltverträglichere Art als durch die Verbrennung unter freiem Himmel zu lösen. Mit dem Pyrolyseverfahren werden die Altstoffe, bei denen Kupfer und Plastik verbunden sind, unter Luftabschluß „verschwelt“: Als feste Stoffe bleiben Kupfer und Koks übrig, die wiederverwertet werden: eine Anlage, so versichert der künftige Betreiber, die nach dem neuesten Stand der Technik einen Beitrag zur Entsorgung des stetig wachsenden Berges von Elektronikschrott leisten soll. In Deutschland gibt es davon bisher nur Versuchsanlagen.

„Das ganze Projekt wird nur realisiert, wenn es keine Belästigung für die Umgebung gibt“, meint Jürgen Tilsen von der Betreiberfirma. „Bis heute sind das alles nur Gedankenspiele, nicht mal richtige Pläne.“ Tilsen hat die Chance, sich ein gutes Stück vom Kuchen des Entsorgungsgeschäfts abzuschneiden, erkannt. Schließlich steht in Bernau eine Anlage, die nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung wahrscheinlich ohne weiteres in Betrieb gehen könnte. Tilsen rechnet mit einer Investition von 20 Millionen Mark; Peanuts im Vergleich zum Beispiel zur Sondermüllverbrennungsanlage in Schöneiche südlich von Berlin, deren Bau, ebenfalls durch die „Berlin-Consult“, immerhin 70 Millionen gekostet hat. Bei der Industrie gebe es „großes Interesse an einer Abnahme von Elektronikschrott“, sagt Tilsen.

Obwohl angeblich alles noch im Vorplanungsstadium ist, gibt es von den Betreibern bereits ein „Konzept zur Weiterführung der Reststoffverwertungsanlage Bernau“. Laut diesem Konzept sind die schieren Größenordnungen der Anlage mit einer kleinen Müllverbrennungsanlage vergleichbar, nicht aber der Inhalt: „Folgende Materialien sind zur Verarbeitung vorgesehen: Metall-Kunststoff- Verbunde, Elektronikschrott, Ölfilter, Schleifschlämme, kontaminiertes Holz, Shredder-Leichtfraktion.“ Die Anlage soll rund um die Uhr etwa 10.000 Tonnen im Jahr verheizen. Für das Pyrolysefiltrat aus Halogen und Schwefel ist laut Konzept die „weitere Verwendung noch nicht festgelegt“. 6.000 Kubikmeter Abluft sollen pro Stunde aus den Schornsteinen geblasen werden, die Grenzwerte für die anfallenden Schadstoffe, unter ihnen anorganische Chlor- und Bromverbindungen, Phenol, Kresol, Formaldehyd, Dioxine und Furane, „sollen erreicht werden“, heißt es im Konzept. „Die Luft“, kündigt Jürgen Tilsen an, „wird unsere Schornsteine fast sauberer verlassen, als sie reingekommen ist.“

Anwohner und Umweltschützer sind sich da nicht so sicher. Auch wenn die Grenzwerte eingehalten würden, müsse man die schiere Menge der Schadstoffe sehen, die durch den Schornstein gingen. Beim extrem stinkenden Phenol wäre das mehr als ein Kilo pro Tag, bei den hochgiftigen Dioxinen und Furanen immerhin vier Milligramm im Jahr. Wolfgang Jenseit vom Öko-Institut Darmstadt findet die angegebenen Werte denn auch „merkwürdig“: „Die Kresol-Werte sind untypisch hoch.“ Wer den Grenzwert für Furane und Dioxine erreichen wolle, der müsse so umfangreiche Filteranlagen installieren, daß die gemessenen Werte für Kresole bei weitem zu hoch seien. Das werfe die Frage auf, welche Filter überhaupt eingebaut und wie vollständig die Messungen seien. „Wenn solche Mengen Kresole aus der Verbrennung entstehen, gibt es sicher auch Probleme mit polyzyklischen aromatischen Kohlenstoffen.“ Die aber tauchen in der Schadstoffliste des Betreiberkonzeptes nicht auf.

Gestank aus den Schornsteinen könnte dem Image von Bernau schwer schaden. Denn nicht nur die Erinnerung an dreißig Jahre schleichende Vergiftung würde damit wieder wach, auch ein Nach- Wende-Projekt wäre in Gefahr: Im letzten Jahr hat sich der Stadtteil Waldsiedlung mit der „Brandenburg-Klinik“ offiziell um den Titel „staatlich anerkannter heilklimatischer Kurort“ beworben.

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