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„Eine vernünftige, überfällige Entscheidung“

■ Nach Wahl Lafontaines setzen SPD-Kreisvorsitzende auf Ende des Parteistreits

Die stellvertretende Kreuzberger Kreisvorsitzende Bettina Michalski erfuhr es eher beiläufig in einem Telefonat mit einer Parteifreundin: „Ach, weißt du übrigens...“, der Marzahner Kreisvorsitzende Clemens Thurmann aus dem Radio. Es war, als sei gestern eine Last von der Partei gefallen, derart erleichtert reagierten viele SPD-Mitglieder auf die Wahl Oskar Lafontaines zum neuen Bundesvorsitzenden.

„Optimistischer“, freute sich der Charlottenburger Kreisvorsitzende Rudolf Kujath, werde er ab heute für seine Partei in die Hände spucken. Mehr noch als die Kür des Saar-Ministerpräsidenten beschäftigte viele die Frage, ob nun die quälende Personaldebatte endlich vorbei sei. Wie Kujath reagierten die meisten befragten SPD- Kreisvorsitzenden: „Eine vernünftige, längst überfällige Entscheidung.“

Der „ewige Streit in der Führung“ werde nun wohl beendet, meinte der Kreisvorsitzende von Hohenschönhausen, Jacek Gredka. Sein Schöneberger Kollege Eckhardt Barthel war nicht ganz so optimistisch: Fürs „erste“ sei wohl Schluß mit den „Sandkastenspielen der Enkel“.

Nicht überall stieß die Entscheidung des SPD-Bundesparteitags in Mannheim auf Zustimmung. Der Pankower Kreisvorsitzende Hans- Peter Seitz, der aus seiner Sympathie für Scharping keinen Hehl macht, wunderte sich, wie schnell Lafontaine auf den Schild gehoben wurde. „Wenn es denn wirklich eine überlegte Entscheidung war, hätte er die Kandidatur lange vor dem Parteitag anmelden müssen.“ Er habe „Respekt“ vor Scharpings „Gradlinigkeit“, mit der er sich gestellt und trotz der Niederlage für den Stellvertreterposten kandidiert habe: „Wann hat es das bei uns schon mal gegeben?“ Daß Lafontaine 1989/90 als SPD-Kanzlerkandidat der Einheit kaum zugeneigt war, scheint in der Ost-SPD kein Thema mehr zu sein. Hatte der Saarländer nicht recht mit seiner „schonungslosen Analyse“, mit seiner Warnung vor Massenarbeitslosigkeit und Deindustrialisierung? fragt sich nicht nur der Hohenschönhausener Gredka. „Was jemand vor fünf Jahren gesagt hat“, schlußfolgert Thurmann, „ist doch heute für die SPD uninteressant. Entscheidend bleibt, welche Ansätze Lafontaine für die Zukunft hat.“ Gredka setzt auf ein Signal, die SPD in den neuen Ländern „mehr nach links zu bewegen“. Lafontaine – ein Mann des linken Flügels? Thurmann hält die Frage schlichtweg für eine „Überinterpretation“, die stellvertretende Kreuzberger Kreisvorsitzende Michalski ist sich keineswegs sicher, welchen Kurs der Neue an der Spitze steuern will: „Wohin sich Oskar inhaltlich bewegt, das ist mir wirklich nicht ganz klar.“ Mehr Flexibilität erwarten viele beim Thema PDS. „Einfach ignorieren“, wie es Scharpings Strategie gewesen sei, reiche nicht mehr aus, so Thurmann. Ein gutes Zeichen sei Lafontaines Ankündigung, sich mit Gregor Gysi zu treffen.

Kaum Auswirkungen dürfte hingegen die Wahl Lafontaines auf den Streit um einen Ausstieg aus der Großen Koalition haben. Der Parteilinke Barthel hat nichts gegen „gute Ratschläge“ von der Bundesspitze. Entschieden „wird aber immer noch vom Berliner Landesverband“. Severin Weiland

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