: Schlammschlacht ums Präsidentenamt
■ Polen: Kwaśniewski und Walesa liegen fast gleichauf
Der Wahlkampf um das Präsidentenamt in Polen wird zunehmend apolitisch und schmutzig. Die Sieger der ersten Wahlrunde vom 6. November, die sich am Mittwoch abend das zweite Fernsehduell lieferten, verlieren immer mehr an Konturen. Politisch nähern sich Lech Walesa, der noch amtierende Präsident Polens, und Aleksander Kwaśniewski, der Kandidat der Sozialdemokratischen Partei (SLD), immer mehr an. Beide wollen selbstredend nur das Beste für das Volk: für die Kinder einen Platz im Kindergarten, für die Rentner höhere Pensionen, für die Arbeitslosen Arbeit, für das Land die Mitgliedschaft bei EU und Nato, außerdem gute Beziehungen zu Rußland und eine stabile Währung.
Da sich die Kandidaten politisch nicht profilieren können oder wollen, greifen sie in die Trickkiste der Taschenspieler. Zunächst mußten Wahlslogans als Ersatz für das Programm herhalten, das sich von dem des Gegners nicht unterschied. Noch in der Wahlnacht vom 6. auf den 7. November übernahm Kwaśniewski das Vokabular und die Wahlstrategie Jacek Kuróns, der im ersten Wahlgang auf dem dritten Platz gelandet war. Immerhin – hinter Kurón stand ein Wählerpotential von knapp 10 Prozent, das es zu gewinnen galt. Doch mit dem neuen Slogan Kwaśniewskis – statt „Wählen wir die Zukunft!“ nun „Gemeinsames Polen“ – begann die ganze Malaise. Walesa konterte nämlich mit gleich zwei Slogans: „Immer für Polen“ und „Gemeinsam in die Zukunft Polens“.
Als dann noch Jacek Kurón, die gesamte Solidarność-Intelligenz, die Gewerkschaft selbst, fast alle rechten Parteien und die Bischöfe sich hinter Walesa stellten, hinter Kwaśniewski hingegen alle linken Parteien, war Gleichstand erreicht. Das sagen auch die letzten Meinungsumfragen, bei denen Walesa und Kwaśniewski mit 51 und 49 Prozent fast gleichauf liegen.
Wie nun weiter? Das Ende aller politischen Weisheit hieß: „Schlammschlacht“. Die konservative Zycie Warszawy outete Kwaśniewski „im Netz der Roten Spinne“. Er soll in der Vermögenserklärung, die alle Abgeordneten des Sejm abzugeben haben, die Aktienpakete seiner Frau unterschlagen haben. Tatsächlich ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Antikorruptionsgesetz. Der Justizminister Jerzy Jaskierna – wie Kwaśniewski Mitglied der SLD – fragte im Gegenzug an, ob denn Walesa für die eine Million Dollar, die er vor fünf Jahren für die Vergabe der Filmrechte an seiner Biographie bekam, auch Steuern bezahlt habe.
Dann präsentierte die Wochenzeitung NIE, die von Jerzy Urban, dem ehemaligen Pressesprecher der letzten kommunistischen Regierung, herausgegeben wird, einen Betrüger, der angeblich für Walesa Wahlwerbung gemacht und für ihn auf krummen Wegen Geld gesammelt haben soll. Walesa erstattete Anzeige – gegen den Kriminellen. Dann tauchte eine Kassette auf, die ein angeblich abgehörtes Telefongespräch zwischen dem Betrüger und Jerzy Gwizdz, dem Wahlkampfleiter Walesas, dokumentierte. Dieser dementierte sofort. Die Kassette sei eine Fälschung in übelster Staatssicherheits-Manier. Die nächste Anzeige war fällig. Gwizdz erklärte: „Wir werden uns nicht auf ein so niedriges Niveau begeben, obwohl“ – und hier hob er drohend einen grünen Schnellhefter in die Höhe, „wir die Verfehlungen Kwaśniewskis aus seiner Zeit als kommunistischer Jugend- und Sportminister alle gesammelt und aufgelistet haben.“
Am Sonntag, den 19. November, wird endlich gewählt, und der Spuk hat hoffentlich auch ein Ende. Gabriele Lesser
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