Oskar soll die Tore machen

■ Die SPD hat wieder einen Kapitän, der das angeschlagene Team mitreißen kann - mit mehr Kampfgeist als Rudolf Scharping und ohne Fouls wie Gerhard Schröder

Im Berliner Wahlkampf geschah etwas Symbolisches für die SPD. Mitten im Stimmungstief traten alle Rivalen an der Spitze zur Rettungsaktion auf eine Bühne, und jeder durfte zehn Minuten reden. Scharping, Schröder, Lafontaine und Simonis – aber nur sie und Lafontaine überzeugten in diesem Schaulaufen auf dem Alexanderplatz. Und Oskar bekam plötzlich laut den Ruf aus der Menge zu hören: „Mach du's!“ Kurz hielt er inne und redete sich dann mit einer Knieverletzung heraus: Er eigne sich jetzt nicht mehr zum Fußballspielen, die anderen wären schneller.

Jetzt hat er sie doch überholt. Eine Rede reichte, und wie ein eingewechselter Joker im Fußball holte er sich damit den Sieg. Gestern kürte ihn das hilflose Team SPD zum neuen Mannschaftskapitän; ein Bild, das so manchem Parteitagsdelegierten schon am Vorabend vorschwebte.

Denn auf dem Parteiabend am Mittwoch in Ludwigshafen hatten einige Delegierte zunächst das Fußball-Länderspiel auf Monitoren verfolgt und schwärmten nach den beiden Klinsmann-Toren: So einen brauchen wir – spuckt keine großen Töne, ist fair, stürmt, reißt mit und schießt vor allem Tore. Scharping habe sich ja nie so recht zum Sturmlauf getraut und eher mal ein Eigentor geschossen. Und eine Richtung gab er schon gar nicht an. Schröder dagegen hätte zu eigensinnig gefoult und die Mannschaftssolidarität vergessen. Deshalb: die gelbe Karte für Schröder und die rote für Scharping.

Nun also geht die SPD wieder mit dem Mann ins Rennen, der schon einmal als Kanzlerkandidat ihr Hoffnungsträger war und 1990 beinahe auch Parteivorsitzender geworden wäre. Aber damals kam das Messerattentat auf ihn dazwischen, und vom Krankenbett mußte Lafontaine mit ansehen, wie die Partei seine kontroversen deutschlandpolitischen Positionen demontierte, als wäre er schon abgeschrieben. Diese Pietätlosigkeit soll ihn tief gekränkt haben.

Jetzt kommt Lafontaine fast zu spät – wieviel hätte er der Partei ersparen können! Nun wird es aber nicht unbedingt leichter für die SPD. Denn Fraktionsvorsitzender wird Scharping bleiben. Und die Fraktion sieht vor allem in der Außenpolitik, sprich: Militärpolitik, sehr viele Reibungspunkte. Denn mit seiner konsequenten Ablehnung von Tornado-Einsätzen in Bosnien etwa ist Lafontaine ja nicht nur auf Distanz zu Scharping in der SPD gegangen. Auch SPDler im Osten sind noch skeptisch, Markus Meckel attestierte ihm gestern einen „Wahrnehmungsverlust im Osten“. Da allerdings wird Oskar unter Wählern immer eines zugerechnet bekommen: Anders als Kohl hatte er die Wahrheit gesagt und keine Blütenträume versprochen. Solche Offenheit zeichnet ihn aus. Und manchmal auch seine Kompromißlosigkeit. Wollte Scharping es nur allen recht machen durch Bündelung aller Interessen, ohne selbst Orientierung zu geben, ist Lafontaine ganz anders. Konsens findet er zwar auch, aber er gibt den Ton und die Richtung dabei an. Denn er hat das Talent, zu überzeugen. Er verknüpft alte Werte und neue Ziele in einer Weise, die der SPD eher einen Platz in der Zukunft sichern können als Scharpings selbstmörderischer Stil. Visionen will Lafontaine der Partei geben, und bewiesen hat er das längst. Neues Denken in der Partei hat stets er mitformuliert, ob in den Bereichen Ökologie, Arbeitnehmer-, Wirtschafts- oder Energiepolitik. Nur die CDU muß fürchten, daß ihr ein großer Koalitionär abhanden gekommen ist.

Das Schöne an Lafontaine ist, daß er sich durch markige Sprüche der politischen Gegner nicht einschüchtern läßt wie Scharping. Der „Napoleon von der Saar“ wird zeigen, wie man auch Politik machen kann: selbstbewußt, clever taktierend und durch denkanstoßgebende Provokation. Oskar Lafontaine als Stehaufmännchen der SPD? Es haben nur nicht alle gemerkt: Oskar war immer schon da. Holger Kulick