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■ Die Chaos Art Galerie eröffnet Hamburgs erste virtuelle Kunstfiliale als Mailbox

Für die einen verflüchtigt sich das Subjekt in den weltweiten Datennetzen. In der Apokalypse einer Informationswelt werde aufgrund von Sinnübersättigung immer weniger gewußt, ja vom individuellen Autismus und gesellschaftlicher Automation ist die Rede.

Für die anderen birgt der Computer, das Internet und die Mailboxen Chancen, die nicht ungenutzt bleiben sollten. Darauf setzen auch die Betreiber der Chaos Art Galerie. Ihr Anliegen ist es, die erst einmal noch anarchisch stukturierten Informations-Highways nicht tumben Pornoanbietern zu überlassen – woraufhin sie die erste autonome Kunst-Mailbox Hamburgs eingerichtet haben. Durch Magic Village, dem größten Mailbox-Netz hierzulande, werden die Informationen bundesweit verschickt und durch das Mailbox-System automatisch ausgetauscht.

„Der virtuelle Raum soll als kreatives Feld erhalten bleiben“, sagt Betreiberin Tjalda Saathoff. So bietet die Mailbox ein Kommunikations- und Informationsmedium für Künstler und Kunstinteressierte. Jeder kann sich kostenlos mit einem Z-Modem-Programm einloggen und seinen Senf dazugeben. Beispielsweise in der ersten rein virtuellen Ausstellung mit dem Viruskünstler Jim Warson: In einem gezeigten Interview wird zu Videokunst, seiner Nähe zu den Installationen einer Jenny Holzer und – natürlich – Computerviren Stellung genommen, die er auch schon mal in die Netze der TransManhattan Bank einschleust. Vorher aber läßt sich ein geklonter Jean Baudrillard darüber aus, daß der sexuelle und geistige Horizont verschwunden sei. Munter plappert der Medientheoretiker vor einer virtuellen Rolltreppe des Museums Centre Pompidou über die Effekte von Implosion und Dissuasion.

Zudem besteht durch die Mailbox die Möglichkeit, in der Chaos Art Galerie Kunst einzukaufen – beispielsweise einen A.R. Penck oder Textpictures von dem Medienkünstler und Mitbetreiber der Galerie Klaas Krüger: „Unser Mailbox-Katalog ist leider noch unvollständig. Denn es ist unglaublich aufwendig, Bilder ins Netz zu übertragen. Doch der User kann sich natürlich einen Abzug davon ausdrucken. Für das Original muß er natürlich Geld bezahlen.“

So lautet dann auch das Credo der Betreiber, daß die Kunst im Netz die reale Kunst nicht ersetzen wird. Aber sie wird sie ergänzen, erweitern und verändern. Da verflüchtigt sich nichts, sondern ist auch das Subjekt – um auf die zurückzukommen, die sich um die Zukunft sorgen – real gegeben.

Kai Mierow

Die Nummer der Mailbox ist 040/39 38 04. Außerdem im Internet bei Server Netville Hamburg: http://www.netville.de/gallery

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