: Wertes und unwertes Leben
■ Streit um Behindertenpolitik auf dem Parteitag der schleswig-holsteinischen Bündnisgrünen
Kiel (taz) – Bereits vor der schleswig-holsteinischen Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen hatte es Streit gegeben, der nun auch die Konferenz zu bestimmen drohte. Die Landesarbeitsgemeinschaft für Behindertenpolitik (LAG) hatte der schleswig-holsteinischen Grünen-Spitzenfrau Adelheid Winking-Nikolay „faschistoide Züge“ unterstellt und ihren Rücktritt gefordert. Doch nach drei Tagen hatten sich die Wogen am Sonntag nachmittag geglättet. Der Landesvorstand hatte geschickt Regie geführt, um einen Eklat auf dem Parteitag zu verhindern. Denn schließlich galt es den Landtagswahlkampf, die gewünschten rot-grünen Koalitionsverhandlungen vorzubereiten und geschlossenen Siegeswillen zu demonstrieren. Bei der Wahl am 24. März soll der Einzug in das Kieler Landesparlament nicht wieder scheitern, wie 1992, als gerade mal 400 Stimmen fehlten.
Die Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft für Behindertenpolitik warfen Winking-Nikolay vor, Verständnis für die Präimplantationsdiagnostik geäußert zu haben. Dieses Verfahren prüft Embryonen auf genetische Defekte, bevor sie Frauen in die Gebärmutter gepflanzt werden. Winking-Nikolay ist Mitglied des Landesvorstandes, gesundheitspolitische Sprecherin und auf der grünen Landesliste mit Platz 5 aussichtsreich plaziert. Für die LAG bedeutet die Präimplantationsdiagnostik eine Auslese von Leben. Mit grüner Politik sei dies nicht vereinbar, meinte die Sprecherin der LAG Behindertenpolitik, Dagmar Sell. Der Krach eskalierte zu Beginn der Delegiertenversammlung am Freitag abend. Der LAG wurde schlechter Stil vorgeworfen, unter anderem wegen der Wahl der Worte: „faschistoide Züge“. Adelheid Winking-Nikolay bestritt, diese Diagnostik öffentlich befürwortet zu haben, und die Delegierten sprachen ihr das Vertrauen aus. Die Direktkandidatin für den Wahlkreis Kiel-Südwest legte daraufhin ihre Kandidatur nieder. Zuvor war bereits der Sprecher der LAG, Reinhard Lorenzen, von seinem Amt zurückgetreten. Bis zum Sonntag jedoch beruhigten sich die Gemüter wieder. Das Thema Behindertenpolitik wurde als letztes abgestimmt. Die rund 100 Delegierten und der Landesvorstand stellten sich am Sonntag mittag hinter die LAG Behindertenpolitik und beschlossen, die Präimplantationsdiagnostik aus ethischen Gründen abzulehnen. Diesem Votum schloß sich auch Winking-Nikolay an. Kersten Kampe
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