: „Seine Vergangenheit wird ihn einholen“
■ Interview mit dem Historiker Jacek Wozniakowski, Direktor des Instituts für Internationale Studien in Krakau, über Kwaśniewskis Demokratieverständnis und Polens Hoffnung auf Zukunft
taz: Herr Wozniakowski, haben die Polen mit Aleksander Kwaśniewski tatsächlich „die Zukunft“ gewählt?
Jacek Wozniakowski: Ja, natürlich. Aber es ist eine andere, als sie sie mit Walesa gehabt hätten. Es ist eine Zukunft ohne Geschichte. Daß es keinen Sinn hat, vor einer unangenehmen Vergangenheit einfach die Augen zu verschließen, zeigt der Alltag: Was ich gestern getan habe, wirkt sich auf das Heute und das Morgen aus. Wenn ich die Geschichte konsequent aus meinem Leben streiche, verliere ich meine Identität.
Das müßten aber doch gerade die Polen wissen. Sie sind doch so stolz auf ihre Geschichte ...
Mit der Volksrepublik ist das ein bißchen anders. Die Polen waren nie stolz auf die sozialistische Nachkriegsrepublik, aber sie haben den größten Teil ihres Lebens mit ihr verbracht. Und jetzt wollen sie sie vergessen. Faktisch ist es den Polen noch nie so gut gegangen wie heute. Aber sie wollen mehr: Geld, Liebe, Glück. Und das ist es, was Kwaśniewski den Polen verspricht: ein neues Lebensgefühl.
Wird Kwaśniewski dieses Versprechen halten können?
Er muß nun beweisen, daß er tatsächlich ein Demokrat ist. Er muß zeigen, daß seine Wandlung vom Kommunisten im Ministerrang zum Sozialdemokraten westlicher Prägung echt ist. Anders als Walesa kann er sich auf keinerlei Verdienste für das Land berufen. Im Gegenteil: Seine Vergangenheit wird ihn wahrscheinlich – gerade weil er sie verdrängen möchte – immer wieder einholen. Kwaśniewski weiß, daß er viel versprochen hat. Zumindest ein bißchen davon wird er halten müssen.
Was wird aus Walesa?
Das ist völlig offen. Die Wahlen haben gezeigt, daß die Polen den aggressiven Ton Walesas nicht schätzen. Dennoch ist vieles von dem, was er sagt, richtig. Es könnte gut sein, daß er zu einem neuen Meinungsführer wird oder eine Partei gründet, mit der er sich aktiv an der Gestaltung der Zukunft Polens beteiligt. Er könnte zum Beispiel Kwaśniewski beim Wort nehmen und das „Gemeinsame Polen“ einklagen.
Ist das nicht eher nur eine schillernde Seifenblase? Die Bevölkerung Polens ist doch deutlich in ein Walesa- und ein Kwaśniewski-Lager gespalten?
Sie werden sicher nicht die Macht teilen, aber in anderthalb Jahren stehen ja schon Parlamentswahlen an. Wenn es Walesa gelänge, mit seiner Partei ins Parlament einzuziehen, könnte er das „Gemeinsame Polen“ einfordern. Die Gefahr besteht allerdings, daß bis dahin die Exkommunisten die Macht wieder monopolisiert haben. Schon jetzt befinden sich ja die Judikative, die Exekutive und die Legislative in ihren Händen.
Besteht damit die Gefahr, daß die Zukunft Polens in der Rückkehr zu seiner Vergangenheit besteht?
Das will ich nicht hoffen. Polen ist eine Demokratie, auch wenn jetzt die Exkommunisten wieder das Sagen haben. Es gibt die anderen Parteien, und es ist ihr Fehler, daß sie es nicht geschafft haben, einen überzeugenden Kandidaten der Mitte aufzustellen. Vielleicht ist ihnen der Wahlausgang nun eine Lehre. Vielleicht schaffen sie es endlich, sich zusammenzutun und eine Partei der Mitte zu gründen. Die Gefahr liegt eher darin, daß Kwaśniewski seine Parteianhänger nicht mehr loswerden könnte. Daß sie ihre weitere Karriere mit Kwaśniewski verbinden. Wenn es ihm nicht gelingt, sich von diesen Trittbrettfahrern freizumachen, wird die Zukunft Polens nicht ganz so rosig aussehen, wie er es den Wählern versprochen hat.
Kwaśniewski kann sich ja durchaus auch als guter Präsident erweisen. Was würde ihn zu einem Präsidenten aller Polen machen?
Die Voraussetzung dafür ist eine moralische. Kwaśniewski müßte ehrlich mit sich und den Seinen sein. Er müßte sich freiwillig mit der Vergangenheit seiner Partei und seiner eigenen Funktionärsrolle auseinandersetzen. Er müßte sich darüber klarwerden, daß eine Zukunft ohne Vergangenheit auch keine Gegenwart hat. Er müßte die Reformen, die von den nichtkommunistischen Regierungen und Parlamenten auf den Weg gebracht wurden, fortsetzen. Seine Personalpolitik müßte zeigen, daß er nicht nur ehemalige Genossen in hohe Positionen hebt. Im Grunde müßte er das Werk Walesas fortsetzen. Wenn ihm das gelänge, würde er zum „Präsidenten aller Polen“.
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