Sozialklauseln ersetzen keine Sozialpolitik

■ Die indischen Gewerkschaften und NGOs lehnen Sozialklauseln ab

Daß die Einführung von Sozialklauseln in den Welthandel endlich das schwache Menschenrechts-Instrumentarium der UN stärkt, scheint auf den ersten Blick eine einleuchtende Idee zu sein. Und doch lehnten kürzlich auf einer landesweiten Konferenz im südindischen Bangalore zahlreiche regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) und Gewerkschaften Indiens dieses Konzept einhellig und vehement ab.

Damit sind sich die indischen Gewerkschaften überraschend einig mit ihrer Regierung und der vieler anderer Entwicklungsländer: Die Sozialklauseln seien lediglich eine neue protektionistische Maßnahme des Nordens gegen den Süden. „Der wirkliche Grund hinter dem Vorschlag der entwickelten Länder, Arbeitsstandards mit Handelsmaßnahmen zu verbinden, ist, daß Entwicklungsländer in den jüngsten Jahren Wettbewerbsvorteile in einer ganzen Reihe von Exportsektoren erlangt haben.“ So formulierte das Muchkund Dubey, langjähriger Staatssekretär im indischen Außenministerium und Verhandlungsführer bei den Gatt-Verhandlungen.

Der Verdacht, die Industrieländer würden Sozialklauseln als protektionistisches Werkzeug nutzen, ist nicht von der Hand zu weisen. Oft genug ist selbst das Engagement der Gewerkschaften der Industrieländer mehr von Schutzinteressen für hiesige Arbeitsplätze geprägt als von internationaler Solidarität. So reagierten die TeilnehmerInnen an der Tagung in Bangalore sehr unwirsch auf Boykottaufrufe nördlicher Gewerkschaften – wie etwa der deutschen Gewerkschaft Textil Bekleidung – gegenüber Produkten, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden.

„Das Problem der Kinderarbeit läßt sich nicht von heute auf morgen lösen, schon gar nicht mit einem simplen Boykottaufruf“, meint Ashim K. Roy, Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft HMKP aus der Textilmetropole Ahmedabad. Kinderarbeit sei in erster Linie ein Ausdruck der Armut in Indien. Diese verschärfe sich noch durch die unfairen Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd und das harte Strukturanpassungsprogramm des IWF. Auf einem Kongreß in Neu Delhi im März arbeiteten Gewerkschaften und NGOs an dieser Stelle den Unterschied zwischen ihrer Position und der der indischen Regierung heraus: Die Zurückweisung von Sozialklauseln geht bei den regierungsunabhängigen Gruppen einher mit der Ablehnung der gesamten WTO und des IWF.

Auch wenn die indischen Gewerkschaften und NGOs gegen Sozialklauseln sind, so wollen sie damit nicht von den Problemen im Bereich der sozialen Menschenrechte im eigenen Land ablenken. Auch damit stellen sie sich in Gegensatz zu ihrer eigenen Regierung. „Der Widerstand gegen die Sozialklauseln durch die Regierungen, die Arbeitgeber und die Exporteure des Südens ist nur durch Eigeninteressen motiviert“, schrieben sie in dem Abschlußpapier der Tagung in Neu Delhi. „Er steht in keinem Zusammenhang mit den Interessen und Rechten der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung.“

Auch auf der Tagung in Bangalore im Oktober bekräftigten die Gewerkschafts- und NGO-Vertreter, daß Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen in Indien dringend verbessert werden müssen. Sozialklauseln könnten kein Ersatz für Sozialpolitik sein. Insbesondere forderten die Tagungsteilnehmer „dringende Aktionen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, der Kinderarbeit, der Zwangsarbeit, der Schuldknechtschaft und zur Verbesserung der Lage der ArbeiterInnen im informellen Sektor“, heißt es in der Abschlußresolution.

Man einigte sich daher darauf, ein landesweites Komitee verschiedener Gewerkschaften zu bilden, das die Arbeitsrechte in sämtlichen Wirtschaftsbereichen, nicht nur den Exportsektoren, überwachen soll. Es soll zudem gezielte Lobbymaßnahmen und Protestaktionen gegenüber der indischen Regierung koordinieren.

Es herrschte auch Übereinstimmung, daß die weltweiten Probleme der Globalisierung und Liberalisierung der Volkswirtschaften nicht im nationalen indischen Alleingang gelöst werden können.

Insofern sprach sich die Konsultation von Bangalore auch nicht grundsätzlich gegen stärkere internationale Kontrollmechanismen von Arbeitsstandards aus. Diese dürften aber keinesfalls außerhalb des UN-Systems angesiedelt sein – wie es bei der von den Industriestaaten dominierten WTO der Fall wäre. Frank Braßel