Zollunion mit der Türkei steht vor dem Abschluß

■ Die EU-Außenminister drängen, das EU-Parlament signalisiert Zustimmung

Bonn (taz) – Gleich von zwei Seiten wurde der türkischen Regierung gestern bedeutet, daß sie nun wirklich auf eine Zollunion mit der Europäischen Union rechnen kann. Während in Bonn die Außenminister Spaniens, Italiens, Frankreichs und der BRD mit ihrem türkischen Kollegen tagten, sprach sich in Brüssel eine Mehrheit des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments für das Inkrafttreten der Zollunion Anfang nächsten Jahres aus. Der türkische Außenminister Deniz Baykal, gleichzeitig Chef der türkischen Sozialdemokraten, warnte in Bonn noch einmal vor einer Verschiebung der Zollunion – sein Land würde dies als Zurückweisung durch Europa verstehen.

Die Zollunion hat in der Türkei einen hohen symbolischen, aber auch realen wirtschaftspolitischen Wert. Durch den Wegfall der Zölle wird die türkische Wirtschaft mit allen Vor- und Nachteilen eng an den EU-Markt angeschlossen. Darüber hinaus ist die Zollunion aus türkischer Sicht aber auch der letzte entscheidende Schritt vor der Aufnahme in die Europäische Union. Die Alternative wäre nach Auffassung der noch amtierenden Ministerpräsidentin Tansu Çiller eine Abwendung von Europa mit einer gleichzeitigen Stärkung der islamischen Strömung in der Türkei.

Der Verweis auf den islamischen Fundamentalismus war denn auch in Bonn und Brüssel das stärkste Argument für die Zollunion. Noch im Frühjahr dieses Jahres hatte das Plenum des EP angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gegen das Abkommen votiert. Die Mehrheit der Abgeordneten wollte zuerst eine Freilassung der inhaftierten kurdischen Parlamentsabgeordneten erreichen und die türkische Regierung insgesamt zu einer Demokratisierung und zur friedlichen Beilegung des Kurden-Konfliktes bewegen.

Obwohl von alledem keine Rede sein kann, sind die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament nach Ansicht der Grünen-Abgeordneten Claudia Roth mittlerweile „gekippt“. „Immer mehr Abgeordnete haben dem Druck ihrer Regierungen nachgegeben, statt erst einmal die Parlamentswahlen am 24. Dezember abzuwarten“, sagte Roth. Folgt das Parlamentspräsidium der Empfehlung des Ausschusses, wird am 13. Dezember abgestimmt, so daß die Zollunion am 1. Januar in Kraft treten kann. Jürgen Gottschlich