Zwischen den Rillen: „Piercing tut weh“
■ Schade, aber toll: Helge Schneider hat wieder eine prima CD gemacht
In den siebziger Jahren gab es überall Posterkeller. In den Posterkellern gab es großformatige Bilder der zeitgenössischen Popstars. Außerdem waren Aufkleber mit witzigen Sprüchen modern: „Eßt Scheiße – 10 Trillionen Fliegen können nicht irren“ oder auch „Vor Gebrauch des Mundwerks – Gehirn einschalten“. Solche Sprüche fanden vor allem Beamte, Lehrer und Angestellte lustig, und daß einmal Texte von Helge Schneider mehrheitsfähig werden könnten, war unvorstellbar und scheint auf einen großen zivilisatorischen Sprung hinzudeuten. Vielleicht hat das auch damit zu tun hat, daß Hasch nach Alkohol und Tabletten zur dritten Volksdroge geworden ist, weil ja auch der Kifferhumor idealiter über Assoziationen funktioniert. Muß aber nicht sein.
Helge Schneiders Texte sind sozusagen das Gegenteil der Elterndevise, daß man erst denken müsse, bevor man das Recht hätte zu reden. In seinem Schaffen erlöst er die Wörter von ihren erwachsenen Bedeutungen, könnte man sagen, wenn das nicht so affig klingen würde. Er benutzt die Wörter wie bunte, komische Gegenstände. Die reiht er aneinander wie ein Kind, dem das Wort noch ein schönes Ding ist, das an anderen schönen Dingen sich reibt oder die seltsamsten Ergänzungen fordert. „Lernen, lernen, lernen, popernen“, heißt es irgendwann lustig triumphierend auf seiner neuen CD mit dem schönen Titel „Es rappelt im Karton“; oder: „richtig, richtig, popichtig“.
Die Wörter, die er so schön aneinanderreiht in seinen Krimis und Filmen und akustischen Aufnahmen bilden keine Geschichte, sondern folgen der Lust am Klang und am Imitat. Sie sind lustig, nicht so sehr, weil die Geschichte lustig ist, die sie erzählen, sondern weil der Kontrast so groß ist zu der ordentlichen Sprache, in der sich ansonsten die Welt formuliert. Helge Schneider ist komisch, weil er noch einen Schritt weiter geht als die Witzbolde, die lieber auf einen Freund als auf eine Pointe verzichten: Er verzichtet auch noch auf die Pointe, um statt dessen in komischen Worten herumzukrähen und zu krakeelen. So ist die Sprache des Entertainers gleichzeitig am weitesten von den Dingen entfernt, die sie beschreibt, denn eigentlich wird ja gar nichts beschrieben, andererseits ist sie extrem materiell. Dinge, ferne Länder, komische Orte – Tropfsteinhöhlen, Volkshochschulen, Gartenzäune, elterliche Wohnzimmer – werden herbeizitiert. Bunte Dinge, die sich aneinanderreihen. Mit Helge Schneider ist der Surrealismus, der sich in seiner Zeit so blöde erhaben, erlösungshungrig, männlich, existentiell und sehr unkomisch gebärdete (bis auf Queneau), zu sich gekommen – als befreiter Quatsch. Wobei Quatsch wiederum beides ist; ein lustiger Klang, mit einer Neigung zum Feuchten und zur Umbewertung der Sprache: vom Sinnsystem zum Performativen.
Helge Schneider ist ein großer Entertainer. Natürlich ist es am lustigsten, wenn man ihn live sieht. Seine Live-Qualitäten liegen – abgesehen von einer großen Liebe zur spontanen Improvisation – vor allem auch im Detail. In Mimik und Gestik. Diese Details gingen bei seiner letzten Tournee, wo er mit großer Besetzung auf großen Bühnen spielte, ein bißchen verloren.
So funktioniert sein Witz auf CD besser als auf Bühnen, bei denen man eher das Gefühl hat, ihn zu sehen, als daß man ihn wirklich sieht. Beim Hören entgeht einem nichts, das heißt, man kann sich seine Bewegungen ja vorstellen. Auf der neuen CD singt der komische Mann mal seltsam-schöne Liebeslieder, die auf einen Zusammenhang zwischen Melancholie und Quatschmachen hindeuten, beim kleinen „Meisenmann“ geht es ins Chansoneske, manchmal erzählt er merkwürdige Geschichten von Reisen in Tropfsteinhöhlen oder in den Orient; manchmal spielt die hervorragende Band völlig entfesselt. „Jazz ist nicht tot, er stinkt nur ein bißchen, hat einmal Frank Zappa gesagt – er hatte unrecht“, sagt Helge Schneider, und die wilde Band macht ganz entfesselt Big-Band-Jazz oder Boogie-Woogie. „Super Boogie-Woogie, ich bin Boogie-Woogie, super Boogie- Woogie.“ Komisch kräht Helge Schneider „We got to rock, we got to roll“ und „We gonna fuck tonight“ – wie charmant er das singt! Am Ende gibt es auch ein tolles Technostück für die jüngeren Fans. Da ruft er immer nur: „Piercing tut weh“ und „Dance to the music“ und „Happahappa“. „Es rappelt im Karton“ ist eine prima CD, die das Leben verbessert. Detlef Kuhlbrodt
Helge Schneider: „Es rappelt im Karton“ (Spin/EMI)
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