Ersatzloser Prozeß

■ Verfahren gegen Krenz & Co geht auch ohne Ergänzungsrichter weiter

Berlin (taz) – Der Politbüroprozeß wird nicht unterbrochen. Die 27. Große Strafkammer des Berliner Landgerichts wies gestern die Anträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung ab, das Verfahren gegen Egon Krenz und fünf weitere ehemalige Politbüromitglieder wegen eines fehlenden Ergänzungsrichters auszusetzen. Zur Begründung erklärte der Kammervorsitzende Josef Hoch, es bestehe ein großes öffentliches Interesse an der Durchführung des Verfahrens. Der Prozeß müsse zügig vorangebracht werden, außerdem hätte die Prozeßvorbereitung bereits einen erheblichen Aufwand und Kosten mit sich gebracht. Hoch führte außerdem das Alter der beiden Angeklagten Erich Mückenberger (85) und Kurt Hager (83) an.

Nachdem der frühere Vorsitzende der Kammer, Hansgeorg Bräutigam, wegen Befangenheit seinen Stuhl räumen mußte, rückte der frühere Beisitzer Hoch an Bräutigams Stelle. Neuer Beisitzer wurde ein „Ergänzungsrichter“. Da es nun keinen weiteren Ergänzungsrichter mehr gibt, droht der Prozeß zu platzen, wenn einer der drei Berufsrichter während der auf mindestens ein Jahr geschätzten Prozeßdauer ausscheiden müßte. Das Gericht vertrat gestern die Meinung, dieses Risiko sei vertretbar. Gegen diesen Beschluß protestierte die Verteidigung. Die Anwälte des mitangeklagten DDR- Wirtschaftsfachmanns Günther Kleiber (64) beantragten gestern, das Verfahren erneut auszusetzen. Kleiber muß sich Anfang Dezember einer Operation unterziehen.

Als ehemalige Verantwortliche im Politbüro sind außer Krenz, Mückenberger, Kleiber und Hager auch der frühere Berliner SED- Bezirkschef Günter Schabowski (66) und Horst Dohlus (70) wegen der Tötung von 47 Flüchtlingen sowie 24 Fällen versuchter Tötung an der innerdeutschen Grenze angeklagt. Am Donnerstag wird der Prozeß fortgesetzt. Wolfgang Gast