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Abschied vom Rotkäppchen

■ In manchen Bilderbüchern wird kräftig an einem neuen Wolfsbild gearbeitet. Der Wolf wird zum bedauernswerten Geschöpf, das beschützt werden muß

„Plötzlich!“ zeigt einen Wolf, der das kleine Schwein Paulchen verfolgt. Doch Paulchen ist guter Dinge, entgeht knapp, aber zuverlässig allen heimtückischen Angriffen, bis sich der Wolf selbst erledigt. Da hat Paulchen dann doch das Gefühl: War da was? Ein wunderbarer Slapstick.

In „Zilli, Billi und Willi“ wird es wieder ernst. Drei kleine Schweine werden vom Wolf gejagt. Ein Steinhaus muß her, um sie zu retten. Doch es geht auch anders. In „Wer ist da?“ besiegen die drei Schweinchen den Wolf mit List. Angst braucht man wirklich nicht zu haben, wenn man Phantasie hat. „Die drei kleinen Wölfe und das große böse Schwein“ drehen die Geschichte sogar um. Das ist bildlich überzeugend und witzig dargestellt, weil schon die rosige, böse Schweinsfigur zum Lachen reizt. Eigentlich wollte das böse Schwein ja nur sagen: Ich bin so einsam.

Auch Wölfen werden solche Gefühle zugestanden. „Wer hat Wolfie lieb?“, wenn er da auf dem Berg steht und heult „Auoohuuoou“. Ich bin so einsam, und die anderen Tiere wollen ihm nicht Gesellschaft leisten. Ein Wolf ist ein Wolf, und versucht er, ein guter Wolf zu sein, so wird er lange warten müssen, bis die Vorurteile in den Köpfen schwinden. „Die Geschichte vom guten Wolf“ zeigt, wie langwierig solch ein Prozeß ist. Selbst wenn man Blumen sammelt und Häschen pflegt, ist man vielleicht doch nur der Wolf im Schafspelz. Sehr einfühlsam erzählt und malt Solatareff von den Schwierigkeiten der Wolfsnatur, hin und hergerissen zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit. Und wenn dann die Wolfsnatur siegt, will das nichts heißen, denn große Zähne allein sind nichts gegen Kinder mit Köpfchen. Zu sehen bei „Karl-Michael und der hungrige Wolf“. Der schrecklich aussehende Wolf ist dem gewitzten Knaben auf mitleiderregende Weise unterlegen. Erst läßt er sich zur Eßkultur mit köstlichen Knabengerichten überreden, dann wird er von den Zutaten fast erschlagen. „Und die sind noch nicht mal biodynamisch“, mäkelt Karl-Michael.

„Didi Bonbon“ hat es nicht so mit der Gesundheit, wie der Name schon verrät. Aber ihre Bonbons hauen den Wolf vom Hocker. Sie hat nämlich eine tüchtige Wolfsprise Schlafmohn untergemixt. Doch manchmal sind Zähne doch stärker als Köpfchen. Der Riese hat einen Wolf, ein Mädchen und einen Kuchen gefangen. Er muß über den Fluß setzen mit einem kleinen Boot, in dem er nur einen der drei mitnehmen kann, und er muß verhindern, daß der Wolf das Mädchen frißt oder das Mädchen den Kuchen. Ganz schön klug, der Riese, doch im Fluß wartet jemand mit Riesenhunger. Hunger hat auch der kleine Wolf, doch zu essen will ihm aus Angst niemand geben. Doch dann besinnen sie sich und wünschen ihm, als er weiterzieht: „Mach's gut kleiner Wolf“. Verängstigt ist auch der „Indianerjunge Kleiner Mond“. Und wäre nicht das Feuer gewesen, hätten die hungrigen Wölfe in der kalten Winternacht sein Pony verspeist. Aber das ist aus der Zeit, als die Wölfe noch nicht einsam waren.

Colin McNaughton: „Plötzlich!“ aare, ab 4 Jahre, 22,80 Mark. Elisabeth Shaw: „Zilli, Billi und Willi“. Kinderbuchverlag, ab 4 Jahre, 15,80 Mark. Jonathan Allen: „Wer ist da?“ aare, ab 4 Jahre, 24,80 Mark. Helen Oxenbury, Eugene Trivizas: „Die drei kleinen Wölfe und das große böse Schwein“. Sauerländer, ab 5 Jahre, 22,80 Mark. Scamell, Warnes: „Wer hat Wolfie lieb?“ Benziger Edition, ab 4 Jahre, 19,80 Mark. Jozef Wilkon, Peter Nickel: „Die Geschichte vom guten Wolf“. Nord-Süd Verlag, ab 4 Jahre, 22,80 Mark. Solotareff: „Wenn der Wolf kommt“. Moritz Verlag, ab 5 Jahre, 29,80 Mark. Martin Blundell: „Karl-Michael und der hungrige Wolf“. Ali Baba Verlag, ab 5 Jahre, 25 Mark. Olga Lecaye: „Didi Bonbon“. Moritz Verlag, ab 4 Jahre, 26 Mark. Philippe Corentin: „Der Riese, der Wolf, das kleine Mädchen und der Kuchen“. Moritz Verlag, ab 4 Jahre, 26 Mark. Marolles, E. Schmid: „Mach's gut kleiner Wolf“. Nord-Süd-Verlag, ab 4 Jahre, 24,80 Mark. Wolf, Duroussy: „Indianerjunge Kleiner Mond“. Nord-Süd Verlag, ab 5 Jahre, 24,80 Mark.

Marie Müller

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