: Passauer Ghetto bangt
■ Die Bewohner der „Hafenstraße“ des Dreiländerecks kämpfen um Campus
Passau (taz) – Es sieht so aus, als hätte das Chaos gesiegt: Die beiden einzigen Gemeinschaftsräume des Passauer Studentendorfes „Ghetto“ sind nur noch Schutthaufen. Verantwortlich dafür ist aber nicht die „Hafenstraße Passaus“, wie das Studentendorf bisweilen genannt wird, sondern die Universitätsleitung. Allen voran Vizekanzler Ludwig Bloch: „Ich versteh' das Gezeter um die baufälligen Hütten nicht. Der Abriß war längst beschlossene Sache.“
Doch für die verbliebenen sieben Bewohner des „Ghetto“ ist eine Welt zusammengebrochen. Denn seit vergangenem Dienstag sind die Chancen für eine Weiterführung des seit zehn Jahren selbstverwalteten Wohn- und Kulturprojekts nur noch gering. Um sechs Uhr früh hatten zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei das Gelände unter Flutlicht abgesperrt; und sogar die im „Ghetto“ noch ansässigen Dozenten der Lehrstühle Philosophie und Psychologie mußten sich ausweisen.
Polizeidirektor Leonhard Gruber begründet den massiven Polizeieinsatz mit dem Hinweis auf „mögliche Störaktionen“. Außerdem hätten die Polizisten bei den niedrigen Temperaturen immer wieder abgelöst werden müssen. Sein Hauptargument aber: Vor knapp zwei Wochen hätte in der Diskussionssendung „Live aus dem Alabama“ (Bayerischer Rundfunk) die ehemalige „Ghetto“-Bewohnerin Sibylle Stöhr von einer möglichen Hausbesetzung gesprochen. „Das mußte im Keim erstickt werden.“
Wenn es nun nach dem Willen von Universitätsleitung und CSU- Landtagsfraktion geht, wird das deutschlandweit einzigartige Modell einer anglo-amerikanischen Campus-Anlage mit 78 Wohnungen bis 1998 als „provisorischer Parkplatz“ und dann schließlich als „dringend benötigte Hochschulsportanlage“ genutzt. Die restlichen Bewohner haben bereits Räumungsklagen erhalten. Ihre Vermutung: Eine „völlig überflüssige fünfte Aschenbahn“ werde nie gebaut, denn dafür fehlten die Finanzmittel. Mit dem ersten Teilabriß hätte man vollendete Tatsachen geschaffen, sagt etwa die Politikstudentin Sibylle Stöhr, „weil wir den politisch Verantwortlichen ein Dorn im Auge sind“. Eine vorläufige Sanierung hätte laut Gutachten des Münchner Architekten Christian Herde 525.000 Mark gekostet. Die Kosten allein für den Abriß belaufen sich auf 237.000 Mark.
Ohne „Ghetto“ aber droht Passau wieder ein Ghetto zu werden. Seit 1985 haben die damals noch 160 Bewohner des ehemaligen Kasernengeländes jeden Sommer Kulturwochen veranstaltet. Auch neben den Lesungen, Konzerten und Parties sei das Zusammenleben sehr intensiv gewesen, sagt Hans Langmaier, für den das „Ghetto“ so etwas wie eine Heimat geworden ist – sonst gebe es hier ja nicht viel.
Langmaier erwägt jetzt, aus Protest in einen Hungerstreik zu treten. Während sich die Studenten im „Ghetto“ auch anderweitig politisch engagieren, etwa in einer Wählergemeinschaft, hat sich vor zwei Jahren eine „Bürgerinitiative gegen Studentenlärm“ gegründet. Und die CSU-Oberbürgermeisterkandidatin Dagmar Plenk gibt zu bedenken: „Die Studenten sind hier nur Gäste und sollen sich auch so benehmen.“ Wolfgang Farkas
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